20 Jahre FrauenVernetzung in der Ostschweiz – Interview mit Erika Bigler
Mit der losen Verbindung verschiedenster Frauenorganisationen aus Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft begann es. Nun schauen wir bereits auf eine 20-jährige Erfolgsgeschichte zurück, ein Grund zum Feiern. In keiner Region der Schweiz sind die Frauen auch nur ähnlich gut vernetzt, wie in der Ostschweiz. Doch ohne das unermüdliche Engagement aktiver Frauen, wäre dies nicht möglich gewesen und ist auch in Zukunft nicht möglich. Erfahren wir im Interview mit Erika Bigler, warum wir uns freuen dürfen und weshalb die Arbeit nicht stillstehen darf.
Interview: Cornelia Forrer
Am 13. Juni werden 20 Jahre St. GallerFrauenNetzwerke mit einer Tagung gefeiert. Wie entstand die Idee und wie entwickelte sie sich im Laufe der Jahre?
Die Idee entstand innerhalb meines Einfrauunternehmens BALance netz St. Gallen. Das Bedürfnis nach Austausch zu frauenspezifischen Bildungs- und Gleichstellungsthemen war gross. Folge: eine Gruppe von 12 Organisationen gründete die St.GallerFrauenNetzwerke mit einem ersten Auftritt an der OBA 1995 in St. Gallen. Ein «Bäumli» war damit in gute Erde gesetzt.
Wer sind die wichtigsten Frauen der ersten Stunden und welchen Hintergrund haben oder hatten diese?
Es war damals Elisabeth Anderegg, Präsidentin der Frauenzentrale St. Gallen, zusammen mit dem Gleichstellungsbüro, das Forum kaufmännischer Berufsfrauen FOKA mit Annina Fuchs, die Frauenbibliothek Wyborada, das iff-forum etc. Alle waren an bildungs- und gleichstellungsrelevanten Themen interessiert.
Wozu braucht es überhaupt eine FrauenVernetzung und was bringt sie uns?
Wozu braucht es Männernetzwerke ist meine Gegenfrage? Ja klar, brauchen wir Frauennetzwerke, innerhalb denen wir über gute menschliche Beziehungen an Themen und Inhalten arbeiten können. Alice Schwarzer z.B. sagt, dass Netzwerke eines der wirksamsten Mittel sind, um Frauen zu stärken. Zuerst intern, dann gegen aussen als gesellschaftspolitische Forderungen und in der Zusammenarbeit mit dem männlichen Geschlecht – auf Augenhöhe und gleichwertig wohlverstanden. Dahin gehen wir wahrscheinlich noch einen langen Weg.
Gibt es ein besonderes Erlebnis, bei dem die Vernetzung eine spezielle Rolle spielte, oder einen Erfolg, der vielleicht nicht möglich gewesen wäre, ohne die Vernetzung der verschiedenen Frauenorganisationen?
Ja klar, aus den St.GallerFrauenNetzwerken entwickelte sich die FrauenVernetzungsWerkstatt, die 1998 erstmals über die Bühne ging, mit 400 Anmeldungen auf einen Streich. Wir mussten damals 200 Frauen absagen, weil wir im Zivilschutzzentrum nur Platz für 200 Teilnehmerinnen hatten. Und schon fünf Jahre später – im Jahr 2003 – feierten wir die Vernissage des Online-Magazins mit Vernetzungsplattform ostschweizerinnen.ch. Ohne die achtjährige Vorgeschichte, hätten wir im« sg-Jubiläumsjahr 200 Jahre Kanton St. Gallen» die nötigen Projektgelder nicht erhalten, davon bin ich fest überzeugt.
Nun wird ja am 13. Juni gefeiert. Welches sind die Ziele dieser Tagung?
Das Motto heisst ja «Frauennetzwerke: gestern – heute – morgen». Wir würdigen die Geschichte und machen sie bewusst, weil sie für die Identitätsentwicklung von Frauen wichtig ist. Nur wer eine Geschichte hat, hat auch eine Zukunft. Dann machen wir in einem Talk eine Standortbestimmung mit verschiedenen Netzwerkerinnen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Wo stehen wir? Was haben wir erreicht? Was ist noch zu tun? Und dann gehen wir auch in die Zukunft mit visionären Gedanken für mehr Kooperation und den Fokus auf gemeinsame Ziele.
Sie findet an der Fachhochschule statt. Die FrauenVernetzungsWerkstatt ging jeweils an der Uni über die Bühne. Hat dies einen bestimmten Grund, der nicht nur mit der Platzfrage zu tun hat?
Ja, das hat einen Grund. Wir wollen nicht verwechselt werden mit der FrauenVernetzungsWerkstatt. Wir sind keine Konkurrenz, sondern eine Empowerment-Tagung für die Weiterentwicklung der FrauenVernetzungsWerkstatt. Sie soll im 2016 wieder stattfinden.
Gibt es Gäste oder Referentinnen, auf deren Präsenz wir uns besonders freuen dürfen?
Ja, da ist einmal Nationlrätin Maya Graf. Sie war Nationalratspräsidentin im 2013 und seit Herbst letzten Jahres ist sie Co-Präsidentin von alliance F, der Dachorganisation der schweizerischen Frauenorganisationen. Das Grusswort spricht Regierungsrätin Heidi Hanselmann.
Welche Vision hast du persönlich bezüglich der FrauenVernetzung, wenn du auf weitere 20 Jahre voraus schaust?
Ich möchte in der FrauenVernetzungsarbeit politischer werden. Wo es möglich ist, müssen wir uns auf Gemeinsamkeiten und gemeinsame Ziele fokussieren, und wir müssen mehr zusammenarbeiten.
Studien zeigen, dass besonders junge Frauen sich der Bedeutung der Gleichstellung immer weniger bewusst sind und diese als erreicht betrachten. Sind vielleicht auch Ängste in der Luft, die langjährige und unermüdliche Aufbauarbeit sei irgendwie auch «für die Katze» gewesen und das Thema werde mehr und mehr als bedeutungslos betrachtet?
Leider ist in jüngeren Generationen das Bewusstsein für die Geschlechtergerechtigkeit oft nicht vorhanden. Wo sollen junge Menschen dies lernen, wo doch die traditionellen Rollen und die Stereotypen omnipräsent sind? Die Geschlechterdifferenz ist kaum ein Thema in der Öffentlichkeit und schon gar nicht in den traditionellen Medien. Das hartnäckige Dranbleiben ist unerlässlich. Als Einzelkämpferin hätte ich schon lange aufgegeben. Darum stärken eben die Netzwerke. Denken wir als Beispiel doch nur an den langen Weg bis zum Frauenstimmrecht.
Gleichstellung ist auch eine politische Aufgabe. Was müsste die Politik also für die Gleichstellung von Mann und Frau unbedingt tun und wie will man die Politik dazu bringen, dieses wichtige Thema nicht «einschlafen» zu lassen?
Wir sind erst am Anfang der rechtlichen Gleichstellung, weil der Bewusstseins- und Umsetzungsprozessprozess in der Bevölkerung sehr schleppend voran geht. Politik und Medien geben der Geschlechterdemokratie zu wenig Aufmerksamkeit und Bedeutung. Allerdings ist für mich der Gleichwertigkeitsprozess viel wichtiger: Das weibliche und das männliche Geschlecht sowie die weibliche und männliche Kultur sind gleichwertig. Ich orientiere mich immer mehr an der Geschlechtergerechtigkeit. In der Gleichstellungsdebatte fühle ich mich nicht mehr wohl, weil dort die Gefahr lauert, dass wir Frauen uns zu sehr den männlichen Strukturen und der männlichen Kultur unterordnen und so ein gesunder Entwicklungsprozess und ein Wandel in den Köpfen und Strukturen nicht möglich ist.
Besten Dank für dieses Interview und für all die Jahre Arbeit zugunsten der FrauenVernetzung. Freuen wir uns nun darauf, an der Tagung vom 13. Juni zu erfahren, wo wir bezüglich der Gleichstellung stehen, was wir bereits erreicht haben und was in Zukunft unbedingt für die Gleichstellung und Vernetzung der Frauen getan werden muss.
“Frauennetzwerke: gestern-heute morgen”
20 Jahre St.GallerFrauenNetzwerke sind eine Erfolgsgeschichte. Die lose Verbindung ist seit 1995 der soziale Unterbau der traditionellen, bunten und einzigartigen FrauenVernetzungsWerkstatt, die Frauen und ihre Netzwerke in ihrer ganzen Vielfalt vernetzt. Sie macht in diesem Frühling Pause, eine gute Gelegenheit für eine breite Standortbestimmung. Anlässlich der Ostschweizer FrauenNetzwerkTagung werfen engagierte Frauen einen Blick zurück, halten inne und richten den Fokus auf ihre Ressourcen und neue Zukunftsperspektiven.
Link zum Programm und Anmeldung bis 5. Juni