35 Jahre Frauenbibliothek Wyborada

35 Jahre Frauenbibliothek Wyborada

Das Angebot der Frauenbibliothek Wyborada können sich heute Kulturinteressierte aller Gender aus dem St. Galler Angebot schon gar nicht mehr wegdenken. Gegründet vor 35 Jahren von einer achtköpfigen Frauencrew als Verein, ist der Bibliotheksbestand inzwischen auf 12’000 Medien gewachsen. Beliebt ist aber besonders auch das vielfältige Rahmenangebot.

 

Der eigentliche Start des Projektes liegt im Mai 1986. Damals gründete eine kleine Frauengruppierung den «Verein Wyborada». Er sollte Trägerschaft einer Frauenbibliothek, einer Dokumentations- und Informations- und Archivstelle werden. Dass die heilige Wiborada dafür Patin stand, hat gute Gründe: Sie ist nicht nur eine der bedeutsamsten Frauen ihrer Zeit, sondern auch die Schutzheilige der Stadt St. Gallen, die sich zeitlebens um Menschen und Bildungsgut sorgte und dadurch zur Schutzheiligen der Bibliotheken ernannt wurde.

Gebildet, geschätzt und machtvoll

In Begleitung des Abtbischofs Salomons III. kam die gebürtige Thurgauerin Wiborada aus gutem Hause, im Jahr 912 von Konstanz über den See nach St. Gallen und lebte dort in einer Zelle an der Kirche St. Georgen oberhalb des Klosters. Als sich ihr immer mehr Frauen anschlossen, bildete sich im Schatten des Gallusklosters eine Gemeinschaft von Inklusinnen, was so viel wie «in Zellen lebende eingeschlossene Einsiedlerinnen» beschreibt – eine hoch angesehene Lebensform damals, die zahlreiche Frauen bis Ende des Mittelalters nach Wiborada ebenfalls lebten. Nach vierjähriger Probezeit liess sich Wiborada später in eine Zelle an der Kirche St. Mangen auf Lebenszeit einschliessen und wirkte als «Wiber-Rat» als «weibliche Ratgeberin für Klerus, Adel und Volk St. Gallens und Alemanniens», so schrieb Johannes Duft, Theologe und Stiftsbibliothekar in der Stiftsbibliothek St. Gallen von 1948 bis 1981 über sie.

Einer ihrer wichtigsten Ratschläge ging an Abt Engilbert. Ihm kündigte Wiborada, aufgrund einer Vision, den Ungarneinfall für das folgende Frühjahr an und veranlasste ihn, die Bibliothek und den Kirchenschatz in Sicherheit zu bringen und für die Mönche eine Fluchtburg zu errichten. Als die Ungarn am 1. Mai 926 tatsächlich einfielen, weigerte sie sich, die Gelübde zu brechen und zu fliehen. Sie wurde von den beutegierigen Barbaren erschlagen. Die Verehrung dieser ungewöhnlichen Frau setzte sich aber stetig fort. Selbst die Klostermönche liessen ihre Ratschläge und Lehren immer wieder in die Klosterannalen einfliessen und die «Vita sanctae Wiboradae» wurde verfasst. Wiborada erhielt, aufgrund ihres Wirkens und Werkes, die päpstliche Heiligsprechung – übrigens als erste Frau überhaupt. Ihre Verdienste auch als Stadtheilige wurden geehrt, indem sie die Ehrentitel als Jungfrau und Märtyrin und Schutzheilige St. Gallens erhielt.

Frauengeschichte(n) im Zentrum

Wie Wiborada lag den Gründerinnen der Frauenbibliothek Wyborada die Bildung am Herzen. Historikerin Sabine Schreiber beschrieb zu Beginn in einem Interview, wie schwierig es im Raum St. Gallen noch in den 1980er-Jahren war, an Frauenliteratur und Frauengeschichten heranzukommen. Es gäbe zudem keine öffentliche Bibliothek, die den Zugang zu feministischer Literatur eröffne. Viele junge Frauen und auch Männer, die über Frauenthemen Arbeiten verfassen müssten, kämen regelmässig in der Frauenbibliothek vorbei, aber auch Menschen jeden Alters brächten Bücher oder liehen sich welche aus. Beliebt und gut besucht waren immer die Treffpunkte und Lesungen.

Ob die Grossräte, welche sich Sabine Schreiber als regelmässige Gäste wünschte, oft in der Frauenbibliothek anzutreffen waren, ist leider nicht bekannt. Fakt ist aber, dass ein Projekt wie die «Frauenbibliothek Wyborada» ohne Freiwilligenleistungen und finanzielle Unterstützung Dutzender Frauen nicht so viele Jahre Bestand gehabt hätte. Noch bis 2003 wurde die Bibliothek ehrenamtlich und basisdemokratisch organisiert und betreut. Regelmässige Unterstützungsbeiträge der Stadt St. Gallen gibt es seit den 1990er-Jahren. In den letzten Jahren wurde sie weiterhin von einem Vorstand und einer Bibliothekarin mit 40-prozentiger Anstellung geführt.

Wiedererstarkende Geschlechterthematik

Die Notwendigkeit, Frauengeschichte(n) und weibliche Perspektiven auf die Welt sichtbar zu machen, besteht auch noch heute. Deshalb haben sich die Mitglieder des Vereins 2019 entschieden, die Bibliothek weiterzuführen und um ein Literaturhaus zu erweitern. Die Leitung liegt neu bei zwei Co-Leiterinnen mit je 40-prozentiger Anstellung. «Im Zuge des aktuellen Wiedererstarkens der Auseinandersetzung mit Geschlechterfragen ist es ein wunderbares Zeichen, die Bibliothek und Fonothek zu erhalten und in eine neue Zukunft zu führen», sagen die Verantwortlichen, unter der Leitung von Literaturhausleiterin Anya Schutzbach und Bibliothekarin Karin K. Bühler.

Bilder: Archiv Frauenbibliothek Wyborada (Zwei Gründungsmitglieder: Historikerin Sabine Schreiber (links) und Soziologin Marina Widmer, die kürzlich mit dem Ostschweizer Kulturpreis geehrt wurde) und Titelblatt Schweizer Frauenblatt Dezember 1987

PS: Übrigens auch seit den Anfängen der Frauenbibliothek war unsere Journalistin und Redaktorin Elke Baliarda während Jahrzehnten als Wyboradin im Vorstand aktiv. 

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