Abstimmung vom 28. November 2021: Sympathiewelle für das Pflegepersonal
Die Gegner der Pflegeinitiative sind in der Defensive. Ihr Gegenvorschlag scheint gegen das populäre Volksbegehren chancenlos zu sein. Die Initiative wird gemäss Umfragen von 82 Prozent bejaht.
Kaum je startet eine Initiative mit derart hohen Zustimmungswerten: 82 Prozent sagten in der ersten Tamedia-Umfrage Ja zum Volksbegehren. Selbst wenn die noch Unentschlossenen und ein Teil jener, die mit «eher Ja» antworteten, ins Nein-Lager wechseln, winkt der Pflegeinitiative am 28. November eine komfortable Mehrheit. Der indirekte Gegenvorschlag, den das Parlament verabschiedet hat, träte dann nicht in Kraft.
Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel, die den Gegenvorschlag initiiert hat, zeigt sich vom Umfrageergebnis wenig überrascht. «Die Pflegeinitiative ist ein sympathisches Anliegen, zu dem man fast nicht Nein sagen kann.» Auch sie bekämpfe die Initiative nicht vehement, vielmehr setze sie sich mit Überzeugung für den Gegenvorschlag ein. Nur mit diesem hätten die Pflegefachleute einen gesicherten Nutzen. Dazu zählt Humbel knapp eine Milliarde Franken für eine Ausbildungsoffensive und die Kompetenz, künftig gewisse Pflegeleistungen selbstständig mit den Krankenkassen abzurechnen.
Humbel: Selten haben Initianten so viel erreicht
Wenn sie bei Informationsveranstaltungen Pflegefachleute mit dem Argument konfrontiere, dass bei einem Ja zur Initiative ein jahrelanger Gesetzgebungsprozess ohne Garantie auf das Ergebnis anstehe, reagierten diese überrascht und enttäuscht. «Selten haben Initianten bei einem Gegenvorschlag so viel herausgeholt. Ich finde es deshalb unverständlich, dass sie das Volksbegehren nicht zurückgezogen haben», sagt Humbel.
Bei den Initiantinnen und Initianten herrscht dagegen Freude über das Umfrageergebnis. Dennoch mahnt Yvonne Ribi, Geschäftsführerin des Schweizerischen Verbandes des Pflegefachpersonals (SBK), zur Vorsicht. Es habe noch kaum ein Meinungsbildungsprozess stattgefunden, insbesondere seien die Gegenargumente noch wenig bekannt. Ein gegnerisches Komitee unter der Führung des Walliser FDP-Nationalrates Philippe Nantermod, das sich für den Gegenvorschlag einsetzt, will nächste Woche seine Argumente präsentieren.
Trotzdem dürften die Befürworter der Pflegeinitiative den Abstimmungskampf dominieren. Für die Pflegeinitiative wird es eine Kampagne mit Plakaten und Informationsmaterial geben. Sie sei überwältigt von der grossen Nachfrage nach Infomaterial, das für die Kampagnenarbeit bestellt werde, sagt Ribi. Den grossen Zuspruch für die Initiative erklärt sie sich nicht zuletzt mit der Corona-Pandemie. Diese habe die Probleme in der Pflegeversorgung verdeutlicht.
Kampf für bessere Arbeitsbedingungen
Wie gross der Rückhalt des Pflegepersonals in der Bevölkerung ist, zeigte sich schon bei der Unterschriftensammlung. Die Pflegeinitiative kam nach nur 8 Monaten Sammelzeit mit über 110’000 Unterschriften zustande. Der Bundesrat wollte die Initiative trotzdem ohne Gegenvorschlag dem Volk unterbreiten. Aufgrund der guten Chancen bei einer Volksabstimmung verabschiedete das Parlament jedoch einen Gegenvorschlag auf Gesetzesstufe, in der Hoffnung, das Initiativkomitee ziehe das Volksbegehren zurück.
Dem Initiativkomitee genügt der Gegenvorschlag jedoch nicht. Vermisst werden vor allem Massnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Die Initianten verlangen Vorgaben für genügend Pflegefachleute pro Abteilung, eine bessere Abgeltung der Pflegeleistungen und eine Verpflichtung zu Gesamtarbeitsverträgen.
Gegnerinnen und Gegner machen hingegen geltend, dass der Bund nicht für Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals zuständig sei. Zudem dürfe nicht eine einzelne Berufsgruppe Verfassungsrang erhalten. Den Initiantinnen und Initianten gehe es einzig darum, gewerkschaftliche Anliegen zu verpolitisieren, sagt Humbel.
Text: msn
© Bild: Keystone Die Pflegeinitiative wurde vor vier Jahren eingereicht, federführend ist der Verband des Pflegefachpersonals (SBK). Links die frühere SBK-Präsidentin Helena Zaugg, rechts SBK-Geschäftsführerin Yvonne Ribi.