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Abstimmungs-Arena: Wenn Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher die Worte fehlen

Abstimmungs-Arena: Wenn Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher die Worte fehlen

Die Personenfreizügigkeit eliminieren will die SVP mit ihrer Begrenzungsinitiative. Bringt uns Zuwanderung aus Europa Wohlstand oder Elend? In der «Abstimmungs-Arena» kreuzen erstmals Bundesrätin Karin Keller-Sutter und die Tochter von Christoph Blocher die Klingen.

Der SVP droht ein Abstimmungs-Fiasko: Satte 61 Prozent lehnen die Begrenzungsinitiative laut einer ersten GFS-Umfrage ab. Mit der Vorlage wollen Blocher und Konsorten die Personenfreizügigkeit mit der EU am 27. September ein für allemal bodigen. Und setzen damit die bilateralen Verträge aufs Spiel. Mit der «Arena» startet die heisse Phase des Abstimmungskampfs so richtig. Denn erstmals kreuzen FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter und SVP-Aushängeschild Magdalena Martullo-Blocher die Klingen.

Die 51-jährige Chefin der EMS-Chemie zeigt sich gewohnt hemdsärmlig, angriffslustig, fällt den Gegnern immer wieder ins Wort. Und scheut nicht davor zurück, ihre eigene Familie für den Abstimmungskampf ins Spiel zu bringen. Die Schweiz sei wegen der Personenfreizügigkeit aus der EU für Frauen unsicherer geworden. «Ich sage meiner Tochter, sie soll nicht mehr alleine an den Zürcher Seepromenade gehen. Selbst wenn es hell ist», sagt die Tochter von Christoph Blocher.

Doch sie hat die Rechnung ohne Moderator Sandro Brotz gemacht. Dieser haut ihr im 1:1-Interview die eigene, von Briten verfasste SVP-Studie zur Personenfreizügigkeit um die Ohren. «Darin steht, dass die Einwanderer aus den wichtigsten Herkunftsländern gar nicht krimineller als die Schweizer sind», so Brotz. Dann passiert, was fast nie vorkommt. «Aber, äääääh. Ich weiss nicht welche Studie sie meinen». Martullo-Blocher sagt ein paar Augenblicke gar nichts mehr.

Umso mehr in Fahrt kommt ihre Gegenspielerin, Justizminsterin Karin Keller-Sutter. Als Martullo-Blocher kolportiert, die EU werde die bilateralen Verträge bei einem Ja zur Initiative schon nicht kündigen, gibt Keller-Sutter Gas. Erstens sei die Guillotine-Klausel in den Verträgen festgeschrieben. Weiter seien neue Verhandlungen nicht realistisch, das habe die Geschichte mit der Masseneinwanderungsinitiative gezeigt.

Die Personenfreizügigkeit ist für die EU ein Grundpfeiler wie für die Schweiz der Föderalismus.

Zudem sei es von der SVP taktisch unklug, wie in der Initiative vorgegeben, eine Verhandlungsfrist von nur einem Jahr zu setzen. Diese könne die EU einfach aussitzen.

Das Wagnis eines vertragslosen Zustands mit der EU dürfe man nicht eingehen – insbesondere nicht in einer Wirtschaftskrise wie jetzt. «Die Schweiz verdient jeden zweiten Franken im Export. Wir stimmen nicht über die Zuwanderung, sondern über den Marktzugang zu Europa ab», wiederholt Keller-Sutter in der Sendung fast mantraartig. Denn die Zuwanderung hänge weitgehend von der konjunkturellen Lage ab. Früher hätte man auch mit dem Kontingenten-Modell teilweise viel höhere Einwanderungszahlen gehabt als heute.

Fakt ist: Die Zuwanderung aus den EU/EFTA-Staaten ist seit einige Jahren eher rückläufig (siehe Grafik unten). Sie sank von 73’000 (2008) auf 2019 noch rund 32′ 000 Personen (siehe Grafik unten).

     © CH Media

Nicht nur Martullo-Blocher, auch SP-Nationalrat Cédric Wermuth argumentiert mit einer Familienangelegenheit. Der Aargauer kommt mit Augenringen in die Arena, weil seine Tochter am Donnerstag einen Badeunfall hatte und er deshalb die Nacht in der Notaufnahme verbringen musste. Zur SVP-Argumentation sagte er: «Mein Kind wurde von einer deutschen Ärztin hervorragend behandelt. Wenn Sie jetzt in diesem Land die Migration runterschrauben wollen, dann müssen Sie den Eltern wie mir aber in die Augen schauen und sagen, dass dann keine Schweizer Ärztin da wäre. Dann wäre gar niemand dort gewesen.»

Lukas Reimann, SVP-Nationalrat und Präsident der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS), geht es vielmehr ums Prinzip. Man müsse verhindern, dass die Schweiz nach den Regeln der EU tanze. «Sonst sind wir bald EU-Mitglied, ohne Mitglied zu sein. Dazu müssen wir die Zuwanderung wieder eigenständig steuern können», so der Ostschweizer.

Es wandern aber nicht nur Ausländer in die Schweiz ein, sondern auch Schweizer nach Europa aus. Rund eine halbe Million Eidgenossen lebt in der EU, wie Laura Zimmermann, Co-Präsidentin der Operation Libero, einwirft. «Die SVP will uns die Freiheit wegnehmen, in Europa zu wohnen, zu arbeiten, ja uns zu verlieben. Lebensräume machen nicht vor Grenzen halt!» Es dürfe nicht sein, das künftig eine zentrale Amtsstelle in Bern mit Kontingenten entscheide, wer in die Schweiz einwandern dürfe oder nicht. «Das ist schon fast Planwirtschaft», so die angriffige Bernerin.

Der Zank um den Arbeitnehmerschutz

Neben Martullo-Blocher legt sich in der Arena für die Befürworter besonders SVP-Nationalrat Marcel Dettling ins Zeugs. Der scharfzüngige Schwyzer moniert, dass dank der Personenfreizügigkeit vor allem die grossen Firmen ihren Profit steigern könnten. Mit der Überbrückungsrente für Menschen über 60 würden die alten Leute in die Arbeitslosigkeit abgeschoben, nur damit man die «günstigen Europäer» ins Land holen könne. «Damit füttern sie genau die Top-Manager aus dem EU-Raum. Die haben danach den Wohlstand. Nicht der einfache Bürger», sagt er an die Adresse von SP-Wermuth.

Da platzt dem Aargauer der Kragen. «Gerade die SVP wollte im Parlament nichts für alte Arbeitslose machen. Und hat es abgelehnt, dass in der Corona-Krise jugendliche Arbeitslose unterstützt werden», schiesst er gegen die SVP. Sie verkennen die Realität. Sie fahren mit 200 gegen die Wand», entgegnet Dettling.

Ob sich in den letzten Jahren die Siedlungsflächen gerade wegen der Zuwanderung aus der EU vergrössert haben, ist ein weiterer strittiger Punkt. «Wollen sie eine weitere Millionen Einwanderer in den nächsten zehn Jahren», fragte Dettling in die Runde. SRF-Brotz fragt schliesslich Keller-Sutter, ob sie eine 10-Millionen-Schweiz wolle. «Das ist nicht erstrebenswert, selbstverständlich nicht», so die Bundesrätin.

Bild und Text: Aargauer Zeitung

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