alliance F unterstützt die «Ehe für alle» und den von der Lebensform unabhängigen Zugang zur Fortpflanzungsmedizin
An der Delegiertenversammlung der alliance F vom 5. April 2019 haben die Delegierten einstimmig dem Antrag der Mitgliederorganisation LOS – Lesbenorganisation Schweiz zugestimmt, dass alliance F den Gesetzesentwurf «Ehe für alle» in der Vernehmlassung unterstützen wird.
Mit dem Zugang zur Ehe wird eine Diskriminierung der gleichgeschlechtlichen Paare beseitigt. Die volle Beseitigung von Diskriminierung von Frauenpaaren gegenüber heterosexuellen Paaren verlangt, dass den Frauenpaaren auch der Zugang zur Fortpflanzungsmedizin offen steht, weshalb der Minderheitsantrag der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats unterstützt wird. Lesen Sie das Schreiben in voller Länge:
Sehr geehrter Herr Kommissionspräsident
Sehr geehrte Damen und Herren
Wir danken Ihnen für die Gelegenheit, zum Gesetzesvorentwurf zur «Ehe für alle» Stellung nehmen zu können. alliance F, der überparteiliche Bund Schweizerischer Frauenorganisationen, vertritt rund 150 Organisationen mit mehreren Hunderttausenden Mitgliedern in der Schweiz und setzt sich seit bald 120 Jahren für die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung wegen des Geschlechts ein. Wir begrüssen und unterstützen die Parlamentarische Initiative zur «Ehe für alle» und den von der Rechtskommission des Nationalrats ausgearbeiteten Vorentwurf.
Vorbemerkung
Die Bundesverfassung verbietet jegliche Form der Diskriminierung, namentlich auch Diskriminierung wegen der «Lebensform», worunter die sexuelle Orientierung fällt (Art. 8 Abs. 2 BV). Mit der Einführung der Stiefkindadoption im Jahr 2018 konnte bereits ein Schritt in Richtung gleiche Rechte für gleichgeschlechtliche Paare getan werden. Trotzdem ist und bleibt die Schweiz momentan eines der letzten Länder Westeuropas, welches die Ehe gleichgeschlechtlichen Paaren noch immer verwehrt. So wurde in den Niederlanden die Ehe bereits 2001 für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet, zuletzt haben auch Deutschland (2018) und Österreich (2019) diesen Schritt vollzogen. Sogar im eher katholisch geprägten Irland wurde die Ehe für alle im Rahmen einer Volksabstimmung im Jahr 2015 mit klaren 62% angenommen. Aus Sicht von alliance F ist es jetzt an der Zeit, die Ehe auch in der Schweiz für gleichgeschlechtliche Paare endlich zu öffnen. alliance F begrüsst deshalb das pragmatische Vorgehen zur Öffnung der Ehe für alle mittels der vorgeschlagenen Gesetzesänderungen bzw. -anpassungen.
Zustimmung zum Zugang zur Samenspende für lesbische Paare (Variante)
Gleichgeschlechtliche Eltern sind schon längst eine Realität: Schätzungen zufolge, leben in der Schweiz aktuell zwischen 6’000 und 30’000 Kinder in Regenbogenfamilien. Die Hälfte dieser Familien wurden durch eine Samenspende gegründet, knapp ein Fünftel davon von einem privaten Spender, ein Drittel mit der Hilfe einer Samenbank im Ausland. Die rechtliche Absicherung der Beziehungen der betroffenen Kinder und Familien ist gemäss geltendem Recht aber nicht gewährleistet. Mit dem gemäss Variante vorgesehenen Zugang zur Samenspende und damit zur originären Elternschaft würde diese Rechtsunsicherheit behoben.
alliance F befürwortet deshalb den Gesetzesvorentwurf mit der Variante zu Art. 252 Abs. 2 und Art. 259a ZGB. Der vorgeschlagene neue Art. 259a ZGB beinhaltet – analog der Vaterschaftsvermutung von Art. 255 ZGB – eine Vermutung der Elternschaft der gleichgeschlechtlichen Ehefrau und stellt damit gleichzeitig den Zugang zu medizinischen Fortpflanzungsverfahren sicher, da Letztere nur bei Paaren angewendet werden dürfen, zu denen ein Kindesverhältnis begründet werden kann. Damit wird mit dieser Variante einerseits der Zugang zur Samenspende gewährleistet, andererseits aber auch die originäre Elternschaft ermöglicht.
Kommentar zu den in der Vorlage nicht berücksichtigten Punkten
alliance F begrüsst das pragmatische Vorgehen mit dem Ziel, eine rasche Öffnung der Ehe für alle zu gewährleisten – mit Zugang zu allen Rechten. Es ist aber hinzunehmen, dass bestehende Ungleichbehandlungen, die an das Geschlecht der Eheleute anknüpfen bzw. die das Institut der eingetragenen Partnerschaft von der Ehe unterscheiden, vorerst noch bestehen bleiben und erst in nachfolgenden Revisionen an die Hand genommen werden.
Zugang zur Fortpflanzungsmedizin und die Frage nach der Gleichstellung von Frauen- und Männerpaaren
Die Ehe für alle hat die Gleichstellung von gleich- mit verschiedengeschlechtlichen Ehepaaren zum Ziel – und zwar im Rahmen des derzeit für Ehepaare geltenden Rechts. Es ist deshalb gerechtfertigt, die Frage nach der Leihmutterschaft von der Frage nach der Ehe für alle zu trennen. Denn im Gegensatz zur Samenspende ist diese grundsätzlich, also auch für gemischtgeschlechtliche Ehepaare, verboten.
Umgekehrt lässt es sich sachlich und rechtlich, wie das Gutachten von Prof. Andreas Ziegler überzeugend darlegt, aber nicht rechtfertigen, Frauenpaaren den Zugang zur Samenspende zu verweigern, obwohl diese verschiedengeschlechtlichen Ehepaaren offensteht.
Männerpaare auf der anderen Seite können aus biologischen Gründen kein eigenes Kind resp. nur über eine Leihmutterschaft ein eigenes Kind bekommen; die Leihmutterschaft wiederum ist in der Schweiz für alle Personen – d.h. sowohl für gleich- als auch für verschiedengeschlechtliche Paare – verboten. alliance F fordert daher die Öffnung der Ehe inkl. Zugang zu allen fortpflanzungsmedizinischen Verfahren, die auch verschiedengeschlechtlichen Ehepaaren offenstehen.
Hinterlassenenrenten
Ebenfalls keine Anpassungen werden in der Vorlage betreffend die Hinterlassenenrente vorgeschlagen, das heisst eine Gleichstellung von Witwen- und Witwern, die heute unterschiedlichen Voraussetzungen für eine Rentenleistung unterstehen. alliance F unterstützt zwar die Abschaffung der zivilstandsabhängigen Witwen- und Witwerrenten und begrüsst stattdessen eine Erhöhung der Hinterlassenenrenten an Elternteile mit Kindern. Die Angleichung der Renten von Witwern und Witwen resp. die Abschaffung der zivilstandsabhängigen Renten hat jedoch nicht im Zuge der Vorlage «Ehe für alle» zu erfolgen, sondern soll Bestandteil einer nächsten Altersreform sein, da diese grundsätzliche, die gesamte Gesellschaft betreffende Fragen aufwirft.
Geschlechterneutrale Sprache
Schliesslich möchten wir noch betonen, dass für uns der Verzicht auf die Anpassung des gesamten Eherechts in geschlechtergerechter Sprache angesichts des Umfangs der nötigen Anpassungen und den damit verbundenen zeitlichen Verzögerungen der Vorlage nachvollziehbar ist. alliance F unterstützt deshalb das vorgeschlagene Vorgehen, wünscht sich aber, dass die Überarbeitung in naher Zukunft an die Hand genommen wird. Dabei sei auch auf das Postulat Flach (18.3690, vom 15. Juni 2018; im Rat noch nicht behandelt) verwiesen, das eine Beseitigung von Regelungen fordert, die ohne Grund an das Geschlecht anknüpfen. Im Zuge dessen ist eine durchgehende geschlechtergerechte Sprache – auch im Eherecht – unumgänglich.
Zusammenfassend halten wir fest, dass wir den Vorentwurf zur Ehe für alle sehr begrüssen und wie dargelegt beantragen, dass die volle Öffnung der Ehe, d.h. inkl. Zugang zu den fortpflanzungsmedizinischen Verfahren, die auch verschiedengeschlechtlichen Ehepaaren offenstehen (Samenspende), eingeführt wird.
Wir danken für die Kenntnisnahme und Berücksichtigung unserer Anliegen.
Mit freundlichen Grüssen
Maya Graf, Nationalrätin Grüne BL
Kathrin Bertschy, Nationalrätin Grünliberale BE
Co-Präsidentinnen alliance F