Adriana Hörler, Sie haben als 21-jährige Studentin dem hochangesehenen Appenzeller Landammann an der Landsgemeinde wegen seiner Informationspolitik so richtig die Leviten gelesen. Sind Sie immer so aufmüpfig?

Wenn mich etwas nervt, wenn ich etwas an den Mann bringen muss, dann mach ich das. Ich bin halt schon eine sehr direkte und ehrliche Person. Das war auch an dieser Landsgemeinde so; ich habe einfach meine Meinung gesagt.

Vor 5000 Anwesenden stiegen Sie auf den Stuhl und hielten Ihre Rede. Und das als junge Frau im stockkonservativen Appenzell! Was ist da in Ihnen vorgegangen? 

Ich war schon sehr nervös. «Willst du das wirklich machen», hatte  ich mich in den Tagen zuvor gefragt. Im Ring rief ich dann nach dem Landammann und machte mit den Händen auf mich aufmerksam, damit er mich sieht und mir das Wort erteilt. Er kannte meinen Namen ja gar nicht, aber das hat sich inzwischen geändert (grinst). Es war schon schön, dort oben zu stehen und auf halb Appenzell zu blicken.

Es war keine spontane Aktion?

Ich hatte einige Tage zuvor einen Leserbrief geschrieben. Darauf meldete sich das Komitee gegen den Spitalausbau bei mir und ermunterte mich, eine Wortmeldung abzugeben.

Man könnte auch sagen, Sie seien von den Gegnern instrumentalisiert worden.

Das finde ich nicht. Denn ich hatte mir wirklich schon vor der Kontaktaufnahme überlegt, ob ich eine Rede halten soll. Aber ganz ehrlich: Als Einzelperson hätte ich es wahrscheinlich nicht gemacht. Die Gruppe hat mich motiviert, mein Ding durchzuziehen.

Viele junge Leute schalten beim Thema Spitalversorgung völlig ab. Warum hat Sie der Appenzeller Spitalneubau so enerviert?

Es geht mir nicht primär ums Spital, sondern um die einseitige Informationspolitik der Regierung. Mit diesem Thema hatte ich mich letztes Jahr im Jus-Studium an der Uni Bern auseinandergesetzt. Die nachträglich verteilte Informationsbroschüre der Regierung war schlicht zu wenig neutral. Dies war auch schon bei einer früheren Abstimmung über das Hallenbad problematisch.

Gehen Sie nun weiter gegen die Kantonsregierung vor?

Die Regierungsvertreter wissen nun, dass sie über die Bücher müssen. Es ist wohl nicht nötig, eine Initiative zu lancieren.

Ihr scharfes Votum hat im Appenzell viel Staub aufgewirbelt. Welche Reaktionen haben Sie erhalten?

Es ist unglaublich, welche Wellen die Sache schlägt. Schon nach dem Ende der Landsgemeinde kamen etliche Leute zu mir. Wildfremde Menschen gratulierten mir, sogar Befürworter des Spitals lobten meine Rede. «Endlich hat jemand den Mut, der Regierung die Stirn zu bieten», hat mir eine Frau gesagt. Das bestätigt mich in meinem Vorgehen. Negative Kommentare gab es nur im Internet. Dort haben mir Leute geraten, besser an den Herd zu gehen. Das berührt mich aber nicht gross.

Wo stehen Sie eigentlich politisch?

Im Appenzell ist die Parteizugehörigkeit nicht so wichtig wie anderswo, da spielen eher Verbände eine Rolle. Mein Smartvote-Profil hat mich der GLP zugeordnet. Aber die gibt es bei uns nicht.

Haben Sie schon Anfragen von Parteien erhalten?

Ja, die CVP hat mir geschrieben und gesagt, es brauche mehr junge Frauen wie mich in der Partei. Ich lasse derzeit noch offen, ob ich mich einer Partei anschliesse.

Appenzell hat 1991 als letzter Kanton das Frauenstimmrecht eingeführt. Wie erleben Sie die Gesellschaft dort als liberale Studentin?

Dass ich als junge Frau bei der Landsgemeinde auf den Stuhl gestanden bin zeigt den älteren Leuten sicher nochmals, dass wir Frauen heute nicht mehr nur an den Herd gehören. Im Alltag ist dies sowieso nicht mehr so präsent, auch im Appenzell. Die Appenzeller sind sowieso ein eigenes, cooles Völkli.

Sie sind fürs Studium nach Bern gezogen. Warum? 

Für mich war es mal Zeit, etwas Abstand vom Appenzell zu haben. Bern ist halt nicht zuletzt wegen der Nähe zur Romandie viel weltoffener. Ich mag die Stadt einfach. Bei uns hingegen kennt jeder jeden. Man ist darum normalerweise immer sehr bedacht, was man sagt.

Trotzdem Sie sind jedes Weekend in der Heimat, denn Sie kicken als Mittelfeldspielerin beim FC Appenzell. Haben Sie als Fussballerin gelernt, den Leuten die Meinung zu sagen?

Das ist gut möglich, ab und zu lässt man dort einen Spruch fallen, den man sich anderswo nicht zu sagen wagen würde.

Wissen Sie schon, was Sie nach Ihrem Studium machen wollen?

Zuerst muss ich mal meinen Jus-Master an der Uni Bern schaffen, dann will ich die Anwaltsprüfung machen. Wo es mich dann hintreibt, ist noch völlig offen.

Text und Bild: Aargauer Zeitung