Der Muttermythos

Der Muttermythos

In den letzten Tagen wird er, der Muttermythos, erneut und aktuell verhandelt, und es wird gehörig an seinem Fundament gerüttelt. Gut so! Meine Schwester hat – unter anderem – gewagt auszusprechen, was so viele Frauen – auch ich – über Generationen in sich hineingefressen haben. (Mamablog und 10 vor 10 von Dienstag, 14.4.2015, schade, dass sie dabei ausgerechnet das übliche Cliché der Boden schruppenden und Wäsche zusammenlegenden Hausmutter nachstellen musste).

Ingrid Eva Liedtke 

Denn darum geht es schlussendlich: Wie gut kann ich mich mit dieser neuen Rolle, auf die sich keine Frau wirklich vorbereiten kann, identifizieren? Wie gut kann ich mich darin einleben? Wie kann ich mich organisieren? Wer unterstützt mich? Wo kann ich auch mal abgeben? Dies sind Fragen, die auch eine mit ihrer Mutterrolle an sich zufriedene Frau beschäftigen und es sind Themen, bei denen noch extrem viel Handlungsbedarf liegt. Denn seien wir auch ehrlich:

Jede von uns ist und war des öfteren eine “regretting mother”
Ich hatte auch einige Male den Impuls, meine Kinder zu schlagen, so richtig feste, weil sie mich so herausforderten, mich piesakten bis ich nicht mehr konnte. Ich fühlte mich dann sehr alleine und kurz vor der totalen Erschöpfung. Ich wünschte mir einfach zu verschwinden. Oft war ich gerne unterwegs mit meinen drei Kleinen, aber oft auch nicht. Einkaufen war der Supergau, und einmal habe ich meinem Sohn in der Migros tatsächlich eins geschmiert, und der andere rief in voller Lautstärke:”Mami du häsch en gschlage, dass es blüetet!” Ich trug einen grossen Ring! Scheisse. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Ich habe zurückgebrüllt, dass sie sich halt anständig benehmen sollen – etwas in der Art – und über die Kohlköpfe hinweg nickten mir verständnisvolle Frauenköpfe zu. Trotzdem habe ich das Schamgefühl bis heute nicht vergessen. Ich habe die Zähne zusammengebissen und weiter versucht, eine gute Mutter zu sein. Mein Zahnarzt meint, darum zerbröseln jetzt meine Zähne.

Das Echo ist eindeutig
Alle diese mit ihrer Rolle überforderten oder unzufriedenen Mütter lieben ihre Kinder. Alle liebenden Mütter sind mit ihrer Rolle mal überfordert. Keine Frage! Prinzipiell möchte man den Menschen, die man liebt, Gutes tun, vor allem den eigenen Kindern. Es gibt unzählige Gründe dafür, warum das nicht klappen kann, geheimnisvolle dazu. Warum ein Kind seit Stunden brüllt, obwohl es ausreichend gestillt wird, viel körperliche Nähe erfährt, nämlich immer herumgetragen wird, das ist oft rätselhaft. Warum Kinder immer genau dann besondere Aufmerksamkeit einfordern, wenn man mies drauf oder sogar krank ist, habe ich auch noch nicht ganz entschlüsselt.Und plötzlich sind sie wie Lämmer, wenn man es am wenigsten erwartet. Auf jede Stimmung des Kindes soll, ja muss Mutter möglichst richtig reagieren können. Sonst ist dann eh der Teufel los, weil Kinder, auch die schon grösseren immer direkt aus ihrem Befinden heraus reagieren. Das Kind steht für sich immer an erster Stelle. Ein Verständnis für Empathie wird später gebildet, um in der Pubertät, so scheint mir, wieder völlig abhanden zu kommen.

Wie das so ist im zwischenmenschlichen Miteinander, stellt sich Mutter mit jeder “Fehlreaktion” selber ein Bein und es wird noch schwieriger. Alles hängt nach wie vor von ihr ab, von der Mutter-Kind-Beziehung. Genau, darum schreit ja das Kind auch so, weil es fühlt, dass die Mutter unruhig, unzufrieden oder weiss der Teufel was ist, was sie jetzt nicht sein sollte.

Die immer gütige, liebende, hegende und pflegende, geduldige und fördernde Mutter, gibt es sie wirklich?

Tja, wir wissen so viel über diese Mutter-Kind-Bindung, vor allem was da alles falsch laufen kann. Schon im Mutterleib sind erste Traumata möglich.

Mit all dem hat der Vater ja dann auch gar nichts zu tun. Oder?
Oder dient dieser Mythos schon immer oder immer noch dazu, die Frauen an ihre Brut zu binden. Klar, naturgegeben trägt sie sie aus, aber hat unsere moderne Welt nicht schon lange bewiesen, dass man die Aufzucht teilen kann? Doch? Da hapert’s aber immer noch ziemlich, und ich spreche jetzt nicht nur von zu wenig und teuren Krippenplätzen und Jobsharing, das nur in der Presse gerne skandiert wird, aber im wirklichen Leben, wenn überhaupt nur mit einem Mehr an unbezahlter Homeoffice-Arbeit zu leisten ist (“Ich habe einen 60-Prozentjob, aber natürlich arbeite ich 80-100 Prozent”), sondern auch von diesen Männern mit scheinbar gutem Willen, die einen Teil der Kinderarbeit übernehmen möchten, dann einen Tag pro Woche freischaufeln und die Kinder schlussendlich von ihrer Mutter hüten lassen. Es gibt auch diese Firmen – immer noch – die den Vätern eine Reduktion ihres Arbeitspensum von 100 auf 80% nicht genehmigen, obwohl öffentlich so gerne darüber diskutiert wird, wie wichtig die Familienarbeit auch für die Männer und unsere Gesellschaft ist.

Solange der Mythos funktioniert
kann auch die moralische Hauptlast der Kinderbetreuung immer noch auf den Schultern der Frauen parkiert werden. Ich finde, sie ist durchaus teilbar und würde sehr viele Frauen entlasten und frei machen für neues und vor allem glückliches Schaffen. Das braucht die Gesellschaft!

Ingrid Eva Liedtke 

Praxis Herzenblühen
Minervastrasse 3
8032 Zürich und
Stollen 32
8824 Schönenberg

www.herzenbluehen.ch

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