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Die Gilsis und ihre Narrenweisheiten – Ausstellung im Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen

Die Gilsis und ihre Narrenweisheiten – Ausstellung im Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen

Mit seinen Karikaturen ist René Gilsi (1905–2002) noch immer vielen Menschen ein Begriff- Sein Vater Fritz Gilsi (1878–1961) dagegen ist weitgehend vergessen. Als Maler, Radierer, Holzschneider, Lithograf, Illustrator und Werbegrafiker schuf er ein reiches, beeindruckendes Werk.

Das Historische und Völkerkundemuseum widmet den beiden Gilsis eine Ausstellung, deren Schwerpunkt auf der Druckgrafik des Vaters liegt. Anlass ist die Schenkung des gesamten druckgrafischen Werke Fritz Gilsi an das Historische und Völkerkundemuseum. Die Ausstellung ist noch bis 28. Juni 2020 zu sehen.

«Kunst war für die beiden Gilsis nicht einfach eine «Schönmalerei», sondern ein Weg, sich ernsthaft und unverblümt mit der Welt und ihren Problemen auseinanderzusetzen. Die Bildwelten der Gilsis, besonders des Vaters, sind nur auf den ersten Blick närrisch oder komisch. Wenn man die Arbeiten eingehender betrachtet, wird der Erst der Inhalte eine ganze Welt voller Narren, die auf satirische und gesellschaftskritische Themen hinweisen. Fritz Gilsi gilt auch als St. Galler Jugendstilkünstler. Die grosse Werkschau seiner Ölbilder greift denn auch die Tendenzen des Jugendstils auf.

Mit der Ausstellung und dem dazu gehörigen Katalog hat die Kunsthistorikerin Sabine Hügli-Voss ein Stück St. Galler Regionalgeschichte aus künstlerischer Sicht aufgearbeitet-Nach Carl August Liiner, zu dessen Leben und Wirken Sabine Hügli ebenfalls eine Ausstellung mit Katalog geschaffen hat, ist Fritz Gilsi ihre zweite kuratorische Arbeit für das HVM. Und zum ersten Mal ist damit das Werk des St. Galler Künstlers wissenschaftlich aufgearbeitet.

 

Der reich illustrierte Katalog «Fritz Gilsi Leben und Werk» von Sabine Hügli-Voss ist im Verlag FormatOst, Schwellbrunn erschienen, 184 Seiten, ISBN978-3-03895-017-2

Die beiden Gilsis: Ostschweizerinnen haben Sabine Hügli-Voss dazu einige Fragen gestellt.

 

Welches Frauenbild hatte Fritz Gilsi?  (1878–1961)

Fritz Gilsis Frauenbild, beziehungsweise sein Verständnis bezüglich der Geschlechterrolle von Mann und Frau, war wohl eher traditionell. Aus den wenigen Informationen, die den biografischen Quellen entnommen werden können, ist zumindest anzunehmen, dass er sich in seiner Rolle als Ehemann und Vater als der ausschliessliche Versorger der Familie sah. Seine Frau war für Familie und Haushalt da. Dies war in der Gesellschaft von damals absolute Normalität. Die Gleichstellung von Männer und Frauen im 19. Jahrhundert, und auch noch weit ins 20. Jahrhundert hinein, stand keinesfalls im Interesse des männlichen Bürgertums. Es herrschten allgemein noch gewaltige Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Fritz Gilsis erste Ehefrau, Emmy Brunschweiler (1878–1922), war ausgebildete Stickereizeichnerin. Beide haben sie 1898 gleichzeitig an der Zeichenschule für Industrie und Gewerbe in St.Gallen ihre Ausbildung abgeschlossen. Sie heirateten 1901 und bekamen zwei Kinder, René (1905–2002) und Lisbet Gilsi (1906–1990). 1922 starb Emmy Gilsi und Fritz Gilsi heiratete einige Jahre später Paula Ornstein. 1935 wurde ihr gemeinsamer Sohn Peter geboren. Die Porträts seiner Ehefrauen und Kinder zeigen, dass er sich mit dem Wesen der dargestellten Personen eingehend beschäftigte und lassen einen liebenden und einfühlenden Ehemann und Vater erahnen.

Welches Frauenbild hatte René Gilsi? (1905–2002)

Im Hinblick auf Renés künstlerische Arbeiten fällt auf, dass in seinen Werken in quantitativer Hinsicht männliche Figuren deutlich überwiegen. Seine Bildthemen kreisen sehr oft um die Mächtigen und Herrschenden dieser Welt, die Unheil und Elend in diese Welt brachten – und diese politischen Drahtzieher der Vergangenheit waren nun mal meist Männer. Frauen waren in der Regel von politischen Ämtern ausgeschlossen und öffentliches Mitspracherecht erlangten sie in vielen Ländern erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts. René präsentiert uns ganz klar eine von Männern dominierte Welt und zeichnet ein verheerendes Bild von deren politische Machenschaften.

Welche Frauendarstellung von Fritz Gilsi findest du besonders gelungen, interessant, berührend?

In Gilsis Radierungen, die Sinnbilder des Lebens zeigen, taucht vereinzelt eine Frauengestalt auf, die zusammengekauert auf den Knien liegt und weinend ihr Gesicht in den Händen birgt (zum Beispiel in «Die Wahrheit» von 1917).

Sie ist ausserdem nackt, von seelischem Schmerz und Leid gezeichnet und wird von einer Figur, einem Narren mit Schellenkappe, aus dem Brunnen gezogen. Kunstgeschichtlich betrachtet ist die kauernde Frau eine Allegorie des Schmerzes und gemäss dem Bildtitel eine Allegorie der schmerzhaften Wahrheit. Eine weibliche Figur schwach und schutzbedürftig darzustellen, entsprach ohne Zweifel dem traditionellen Frauenbild. Dem Mann wurden im Gegensatz Eigenschaften wie Stärke, Mut und Tapferkeit zugeschrieben. Eher ungewöhnlich hinsichtlich zeitgenössischer Darstellungskonventionen ist jedoch, dass der Künstler die Demütigung und den elenden Zustand der Frau nicht verbirgt. Er macht sie stattdessen zum Hauptthema und rückt sie in die zentrale Bildachse. Aus bildanalytischer Sicht, ist die Frau in Gilsis Werk jedoch kaum als zeitgenössische Allegorie für das Leid der Frauen zu sehen, sondern eher als eines, welches jegliches Leid in der Gesellschaft thematisieren soll. Interessant ist die Reaktion der Mitmenschen, die die Szene betrachten. Sie sind alle tatenlos und passiv mit Ausnahme des Narren am linken Bildrand. Dieser gehört gleich wie Frauen, Kinder, Alte, Kranke zu einer gesellschaftlichen Randgruppe. Das Bild ist ein ergreifendes Sinnbild für das mangelnde Mitgefühl und die Passivität unserer Wohlstandsgesellschaft angesichts des Leides in unserer Welt.

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