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Die Inszenierung des Unheiligen- eine Ausstellung in St. Gallen

Die Inszenierung des Unheiligen- eine Ausstellung in St. Gallen

Die Künstlerin und Performerin Andrea Vogel kennt sich in der Textilbranche aus. Einst war sie Stoffdesignerin bei Jacob Schlaepfer. Nun inszeniert sie das Menschsein zwischen Abhängigkeit und Selbstbestimmung. Weitere Künstlerinnen sind dazu eingeladen. Die Ausstellung “Behind That Curtain”, angelehnt an die Textil-Dynastie Jacob Rohner, findet sowohl im Kulturraum als auch im Textilmuseum St.Gallen statt. 

Haben der Umbau und damit die Neunutzung im Kulturraum am Klosterplatz bereits begonnen? Der raumfüllende Gerüstbau könnte es glauben machen. Doch noch sind zeitgenössische Kunst und ihr neugieriger und assoziierender Blick auf Bilder und Befindlichkeiten der Gegenwart und Geschichte am Zug. Das installative Gebilde mit den vielfach changierenden Tulle-Bildern “Analog Layers” von Andrea Vogel ist Kirchenschiff und Kopfkonstrukt, Laufsteg und Ausstellungsgestaltung, und bleibt doch Bild für das Vorläufige des Lebens.

Spitzen-Verband für Spitzen-Gewinne

Mit Sorgfalt rollen Frauenhände eine historische Spitzenbordüre auf. Die Rolle wächst. Am Ende verwandeln zwei handelsübliche Verbandsklammern die kompakt hergerichtete Spitze in Verbandsmaterial. Die performative Szene lässt an Verletzungen, Wunden und körperliche Ab- und Ausnutzung denken, die hinter den Superlativen, dem Glanz und dem Erfolg der Textilindustrie stehen. Sie mag ein Bild für Frauenarbeit, Fürsorge und Pflege sein. Die Arbeit “Verband” von Andrea Vogel wird krud in eine leere Cargo-Kiste projiziert. Sie ist auch eine berückende künstlerische Umsetzung jenes Umgehungsgeschäftes, das der Jacob Rohner AG in den Kriegsjahren 1917 und 1918 enorme Profite brachte. Während 1917 die Auslieferung von Verbandsmaterial an Deutschland verboten wurde, Stickereien aber weiterhin geliefert werden durften, lässt der Fabrikant kurzerhand Baumwollbahnen mit einfachen Stickereien verzieren und exportiert das so getarnte Verbandsmaterial ins Kriegsgebiet.

Prozession auf dem Laufsteg durch die Stadt

Ausgehend vom kürzlich erschienenen Buch “Sticken und Beten. Die Textildynastie Jacob Rohner: Familie, Firma, Klerus (1873 – 1988)” von Jolanda Spirig entwirft Andrea Vogel einen Denk- und Schau-Raum, in dem die von der Autorin Jolanda Spirig zu Tage beförderten Geschichten von Liebe und Hass, Glaube und Ehrgeiz, skrupellosen Entscheiden und Kniefall vor dem Papst visuelle Wirkung entfalten.

Thematisch liegt die Verbindung zwischen Kulturraum und Textilmuseum als Ausstellungsorte nah; die Aufarbeitung der in den Neunzehnfünfzigerjahren weltweit grössten Textilfirma aus Rebstein im St.Galler Rheintal zeigt, wie es 1988 zur Übernahme des katholisch konservativ geführten Betriebes durch die freisinnige Textilfirma Forster und somit zu Forster Rohner AG kommt.

Iris Betschart graueZone schafft eine physisch erlebbare Verbindung zwischen den Orten: Zur Vernissage modeln in der Performance “Prozess-on” rund zwanzig Personen mit bleach-painting Kleidern, allesamt aus Ausgestaubtem hergestellte Einzelstücke mit Farbentzug-Malereien, durch die Stadt. Danach wird die Kollektion Installation im Kulturraum. Hier wird auch Asi Föcker, Musikerin und Performerin, auftreten, auf den Raum erst mit Licht und Bewegung, dann mit Musik reagieren.

Geschlossene und erblindete Augen

In der Lounge im Textilmuseum lockt fast leibhaftig Josy Geser-Rohner das Publikum zum prüfenden Blick auf das Bild “Augenblick # 3” herbei. Olivia Notaro hat von der Gemeinde Rebstein ein Porträtbild der Fabrikantin zur Weiterbearbeitung erhalten. Sie hat ihr die Augen geschlossen und so die Strenge des Gesichts in Selbstreflektion und Verletzlichkeit verwandelt. An der Stickmaschine im angrenzenden Raum ist nach dem Entwurf von Andrea Vogel ein Auge Gottes entstanden, das sich davon gemacht hat oder erblindet ist. Gott ist tot – oder er schaut weg.

Doch die Uhr – nein, die Uhren, eine ganze Wand voller Uhren, Kuckucksuhren – ticken. Die Zeit läuft. Nichts von Stillstand. Der Vorhang verunklärt den Blick auf die Realität, auf die Strasse, das Leben. Die Videoarbeit von Aleksandra Signer entstand im Antiquitätengeschäft ihres Vetters in Polen. Der Vogel im Käfig, pardon: im Schaufenster, ist eine jener subtilen politischen Anspielungen, die der Arbeit von Aleksandra Signer eigen sind. Hier schliesst sich der Bogen: “Behind That Curtain”.

Eröffnung: Freitag, 27. November

18.00 Uhr Michaela Reichel begrüsst im Textilmuseum St. Gallen

18.30 Uhr Iris Betschart startet im Textilmuseum die Performance «prozess-ON» zum Kulturraum am Klosterplatz

19.00 Uhr Ursula Badrutt spricht im Kulturraum zur Ausstellung

19.30 Uhr Apéro

Hauptbild: Andrea Vogel, Papst Pius römisch zwölf (Foto: Tobias Siebrecht)

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