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Die kleine Näherin, die heiliggesprochen wird

Die kleine Näherin, die heiliggesprochen wird

Die Liste der katholischen Heiligen in der Schweiz ist um einen Namen länger: Marguerite Bays wird von Papst Franziskus während einer Feier in Rom am Sonntag, den 13. Oktober, offiziell heiliggesprochen. Dies ist erst die dritte Heiligsprechung einer Schweizer Persönlichkeit.

Aufgewachsein ist Marguerite Bays (1915 – 1879) in Siviriez, einem freiburger Dorf in der Nähe der Stadt Romont. Sie stammte aus bescheidenen bäuerlichen Verhältnissen und fiel durch ihre Frömmigkeit und Liebe zu den Armen und Kranken auf. Heute ist sie der Grund für die Bekanntheit des kleinen Dorfes, unter anderem die Kirche und Kapelle, wo sie betete, ihr Grab, oder der bescheidene Bauernbetrieb, wo sie aufwuchs. «Mir gefällt die Metapher einer schneebedeckten Strasse, die man nicht mehr vom Rest unterscheiden kann», wird Abt Martial Python, Pfarrer von Romont und Biograph der bald Heiliggesprochenen zitiert. Es gebe Wegweisen, die den Weg anzeigen und denen es zu folgen gelte. Heilige wiesen in ähnlicher Form den Weg. Die Kirche spreche Menschen heilig, um zu zeigen, dass der Glauben es ermögliche, in jeder Lebenssituation zu leben und dennoch Vorbild zu sein, ob König oder Bettler.

Der Lebenslauf von Marguerite Bays ist klassisch für einen Menschen, der die Heiligkeit erlangt hat. Doch weist er auch einige Eigenschaften aus, welche Bays ein wenig besonders machen. «Sie war eine Frau, und sie war weltlich», sagt Jean-Paul Conus, Präsident der Stiftung Marguerite Bays. Das machte es für ihre Heiligsprechung nicht einfacher. Vor ein paar Jahrzehnten waren die Ordensleute nicht sehr motiviert, ein solches Profil zu unterstützen. Speziell war, dass Marguerite Bays die Wundmale Christi trug. Es heisst, dass diese Spuren nach der wundersamen Remission von einer Krebserkrankung entstanden seien. Allerdings bezieht sich die Anzahl stigmatisierter Menschen unter allen Heiligen auf nur gerade mal rund 20. «Die Stigmatisierten sind die ganz Grossen der Heiligkeit», sagt Python. Es sind diejenigen, die aufgrund ihrer Nächstenliebe zum Spiegel Christi wurden. Es sei das Siegel der Gefühle Gottes. Dem damaligen Bischof habe es nicht gepasst, dass sich um Marguerite Bays ein Kult entwickelte. Er bat daher einen radikalen und leidenschaftlich antiklerikalen Arzt, diese Stigmata zu untersuchen. Doch dieser konnte nur feststellen, dass sie sehr real und unerklärlichen Ursprungs waren.

Eher Anzeichen, statt Wunder

Eine Person, die grossen Glauben bezeugt und sogar Stigmata hat, wird aber nicht einfach zu einer Heiligen. Vielmehr ist die Heiligsprechung der Höhepunkt eines langen und komplexen Prozesses. Alles beginnt in der Diözese des Kandidaten. Die Gläubigen bitten jemanden aus der Ordensgemeinschaft – den Postulator –, einen Antrag an den Bischof zu richten. Dieser leitet die Akte dann an den Vatikan, an die Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse weiter, die entscheidet, ob etwas gegen die Fortsetzung des Prozesses spricht. Wenn dies nicht der Fall ist, beginnt eine lange Untersuchung der Beweise und Zeugnisse, um das Leben und die Tugenden des Kandidaten oder der Kandidatin zu beurteilen. In Siviriez kann man auch ein Faksimile des «Summariums» einsehen – ein Werk, in dem alle Zeugenaussagen zu Marguerite Bays festgehalten sind.

Aber es ist unerlässlich, dass ein Wunder für eine Seligsprechung und zwei für eine Heiligsprechung vollbracht werden. Im Falle von Marguerite Bays betrifft das erste Wunder einen Bergunfall. Ein Bergsteiger überlebte einen Sturz, weil er Marguerite Bays anrief. Seine Seilgefährten starben. Das zweite bezieht sich auf einen Betriebsunfall: Ein Grossvater rief Marguerite Bays an, als er sah, wie seine Enkelin unter die Räder seines Traktors kam. Das 22 Monate alte Kind kam ohne Folgen davon. Wunder sind oft umstritten. Für die einen ein Beweis für die göttliche Intervention, sind sie für die anderen ein erklärbares Phänomen oder gar ein Hirngespinst einfacher Gemüter. Für Abt Python ist es wichtig, dies zu relativieren.

«Die Kirche kann nicht sagen, dass ein Mensch heilig ist oder nicht», erklärt er. Sie wartet auf ein Zeichen. Es sind diese berühmten Wunder, die einen Blick des Glaubens erfordern. Wunder erzeugen Kontroversen, weil sie überbetont werden. Das Wunder ist in der Tat die Gegenwart Gottes in der Person. Man spürt, dass sie von einem Ideal angetrieben wurde.

Kein Lourdes oder Fatima geplant

Der Heiligenkult war im Mittelalter, als Wallfahrten dem Tourismus der damaligen Zeit entsprachen, sehr beliebt. In der Folge verlor er viel an Bedeutung, vor allem auch wegen der Kritik des Protestantismus, der darin eine am Götzendienst nahestehende Form des Glaubens sah. Seit ein paar Jahren allerdings, erlebt dieser Kult wieder eine regelrechte Expansion.

Die Zahl der Heiligsprechungen nimmt zu: 25 von 1588 bis 1700, 29 im 18. Jahrhundert, 79 im 19. Jahrhundert und 168 von 1900 bis 1978. Fast von einer Inflation kann man unter Johannes Paul II. sprechen. Unter ihm als Papst von 1978 bis 2005, kam es zu 1338 Seligsprechungen und 482 Heiligsprechungen zu seiner Ehre. Dieser Trend scheint sich mit Papst Franziskus nicht zu ändern. «Diese Rückkehr zur Anbetung der Heiligen ist mit einem Bedürfnis nach Zusammenkunft verbunden», kommentiert Abt Python. «In den Pfarreien nimmt die religiöse Praxis ab, in den grossen Pilgerzentren hingegen zu. Dieses Bedürfnis nach Zusammenkunft spiegelt sich auch in den Treffen des Weltjugendtages (WJT) und dem Erfolg charismatischer Bewegungen.» In diesem Zusammenhang hat die Heiligsprechung von Marguerite Bays auch Auswirkungen auf die Besucherzahlen von Siviriez.

«Der Effekt ist seit der Heiligsprechung sichtbar», sagt Stiftungs-Präsident Conus. Man habe viel mehr Gruppen, die mit dem Bus anreisen, während es vorher etwas diskreter und familiärer zu und her ging. Es gebe keine genauen Statistiken, aber man empfange rund zehntausend Besucher pro Jahr. Es gehe aber  nicht darum, aus Siviriez ein Lourdes oder Fatima zu machen. Erstens, weil die Infrastrukturen, insbesondere die Hotellerie, nicht in der Lage wären, eine grosse Anzahl von Pilgern zu beherbergen. Aber auch, weil die Figur der Marguerite Bays nicht zu grossen Versammlungen dränge, sondern sich eher für Familientreffen eigne.

Quelle: swissinfo

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