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Ehe für alle – ein Meilenstein für die Gleichstellung

Ehe für alle – ein Meilenstein für die Gleichstellung

Zwanzig Jahre nach den Niederlanden erlaubt nun auch die Schweiz die zivile Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Rund zwei Drittel des Stimmvolks haben der Referendumsvorlage zugestimmt. Doch der Kampf für mehr Gleichberechtigung ist für viele damit noch nicht vorbei.

 

Die unter dem Namen «Ehe für alle» zusammengefassten Änderungen im Zivilgesetzbuch schafften die letzte Hürde deutlich: 64,1 Prozent der Stimmenden sagten Ja. Kein Kanton lehnte ab.

Nur ein hauchdünnes Ja von 50,8 Prozent gab es im Kanton Appenzell Innerrhoden. Andere konservative Kantone wie das Tessin (53 Prozent) und das Wallis (56 Prozent) stimmten der Vorlage klarer zu. Grosse Unterschiede zwischen Stadt und Land sowie zwischen den Sprachregionen gab es nicht.

Von den Verfechtern der gleichgeschlechtlichen Ehe wurde das Ergebnis vielerorts als «historisch» gefeiert. Es handle sich um einen «wichtigen Meilenstein in der Rechtsgeschichte der Schweiz». Es sei ein Ja für die Gleichstellung, die Familienvielfalt und den Schutz der Kinder.

Längst überfällig

Der Kampf für die «Ehe für alle» war ein langer: Acht Jahre wurde im Parlament intensiv diskutiert und gestritten. Den Stein ins Rollen gebracht hatte die die Berner GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy. Sie forderte Ende 2013 eine Verfassungsänderung, welche die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare öffnen soll.

SP, FDP, Mitte, Grüne, viele Unternehmen, die Operation Libero und die Community verhalfen der Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare schliesslich zum Durchbruch. Sie bezeichneten den Schritt als «längst überfällig».

In weiten Teilen West- und Mitteleuropas ist die «Ehe für alle» längst eine Selbstverständlichkeit, auch in allen Nachbarländern der Schweiz ausser Italien. Das Ja fand deshalb auch im Ausland Beachtung. Der Gleichbehandlungssprecher der österreichischen SPÖ, Mario Lindner, sprach von einem «massiven Erfolg – nicht nur für die Schweizer LGBTIQ-Community, sondern für alle Menschen, die sich in Europa für Menschenrechte und Respekt einsetzen».

Rasche Umsetzung geplant

Mit dem Gang zum Standesamt erhalten homosexuelle Paare künftig auch das Recht, gemeinsam Kinder zu adoptieren und den ausländischen Partner oder die ausländische Partnerin im vereinfachten Verfahren einzubürgern. Zudem erhalten lesbische Paare den rechtlichen Zugang zur Samendatenbank. Ausserdem verändert die «Ehe für alle» die Rechtslage der Kinder von gleichgeschlechtlichen Paaren, indem die Elternschaft des nicht biologischen Elternteils ab Geburt anerkannt wird.

Wie Justizministerin Karin Keller Sutter am Sonntagabend sagte, will der Bundesrat den Volkswillen rasch umsetzen. «Die neuen Bestimmungen sollen am 1. Juli 2022 in Kraft treten.» Die Regierung führte im Abstimmungskampf ins Feld, dass der Staat nicht eine Lebensform einer anderen vorziehen dürfe. Die «Ehe für alle» nehme niemandem etwas weg. Das Ja sei «eine Form der Anerkennung durch die Gesellschaft», sagte Keller-Sutter nun.

Schwarzer Tag für das Kindeswohl?

Auf der Verliererseite standen nach dem Entscheid die SVP, EDU, EVP sowie die Schweizerische Evangelische Allianz. Die Gegner hatten im Abstimmungskampf mit emotionalen Bildern von weinenden Kindern Stimmung gemacht, die nach ihrer Ansicht in solchen Regenbogenfamilien leiden.

Die Samenspende für lesbische Paare ebne das Terrain für ein «fatales Gesellschaftsexperiment» und führe zu gesetzlich geförderter Vaterlosigkeit, hiess es. Für das Kindeswohl sei heute ein «schwarzer Tag», sagte Nationalrätin Monika Rüegger (SVP/OW). Sie befürchte bereits Vorstösse, die auf eine weitere gesellschaftspolitische Öffnung abzielten.

Verschiedene offene Fragen

Tatsächlich ist nach dem Ja zur «Ehe für alle» das dringendste Anliegen der Community erfüllt. Verboten bleiben aber weiterhin die anonyme Samenspende, die Eizellenspende und die Leihmutterschaft. Die Befürworter betonten in den vergangenen Wochen immer wieder, dass das erst einmal auch so bleiben solle.

Die Abstimmungssieger brachten am Abstimmungssonntag dafür altbekannte Forderungen aufs Tapet wie beispielsweise eine nationale Elternzeit, die Einführung der Individualbesteuerung, eine vereinfachte Elternschaft und ein modernes Sexualstrafrecht.

All diese Forderungen haben noch einen langen Weg vor sich. Sicher scheint derzeit nur: Eine weitere gesellschaftspolitische Liberalisierung dürfte erneut jahrelang zu reden geben.

Rascher klären könnte das Parlament verschiedene sozialversicherungsrechtliche Fragen um die «Ehe für alle», die explizit nicht in der nun angenommenen Vorlage Eingang fanden. So hat beispielsweise die nicht gebärende Frau eines lesbischen Paares vorerst keinen Anspruch auf einen zweiwöchigen Mutterschaftsurlaub.

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