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Ein Spielfilm und eine Dokumentation feiern die Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg

Ein Spielfilm und eine Dokumentation feiern die Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg

Bei der Semestereröffnung an der Harvard Law School 1956 marschiert eine Armee korrekt gekleideter junger Männer auf das Universitätsgebäude zu. Dazu erklingt die Hymne «Ten Thousand Men of Harvard». Inmitten dieser grauen Armada sieht man: ein tintenblaues Kostüm mit weit schwingendem Rock. High Heels und Strumpfhosen mit Naht. Ondulierte dunkelbraune Haare. Ein roter Mund, der erwartungsvoll halb offen steht.

Sexismus im Kamerablick, bei einem Film, der einer Ikone des Feminismus gewidmet ist? Der dazu von einer Frau gedreht wurde, Mimi Leder, die betont, wie nah sie sich ihrer Hauptfigur gefühlt habe: «Ich wollte ihre Geschichte erzählen, weil ich am eigenen Leib Widrigkeiten und Diskriminierung erfahren habe, hart um Jobs gekämpft habe, die dann an Männer gingen, die weniger geeignet waren als ich.»

Eine brave Emanzipationsgeschichte

Die ersten Minuten von «On the basis of sex» sind alles andere als ermutigend. Die Jurastudentin Ruth (Felicity Jones), die als eine von neun Frauen ihr Studium an der amerikanischen Eliteuniversität beginnt, trifft allerorts auf Diskriminierung. In der Vorlesung ignorieren sie die Dozenten, Kommilitonen machen anzügliche Bemerkungen. Als Ruth ihr Studium mit Auszeichnung abgeschlossen hat, gibt ihr keine der renommierten New Yorker Anwaltskanzleien eine Stelle. Sie kommt als Professorin an einer Frauenuniversität unter. «Du unterrichtest dort die Rebellen von morgen», tröstet sie ihr Mann Marty (Armie Hammer). «Aber ich will selbst rebellieren», ist die Antwort.

Bis dahin ist viel Zeit vergangen, in der Ruth als Streberin gezeichnet wird. Immer die Erste, die sich meldet, immer die Letzte, die nachts noch über den Skripten sitzt. Nebenbei besucht sie Vorlesungen für den erkrankten Marty und tippt ihm die Hausarbeiten. Die kleine Tochter Jane will versorgt und der Haushalt gemacht werden. Kochen kann Ruth so legendär schlecht, dass Marty lieber heimlich Babybrei isst, ehe er selbst Küche und Haushaltsführung übernimmt.

Die ungewöhnliche Arbeitsverteilung im Hause Ginsburg ist eines der Hauptthemen des Films. Es braucht erst wütende Auseinandersetzungen mit der rebellischen Jane (Cailee Spaeny), hitzige Diskussionen im Kreis der Studentinnen am Rutgers College und eine Begegnung mit der von Kathy Bates mit Furor verkörperten Frauenrechtsaktivistin Dorothy Kenyon, bis aus der stillen, immer elegant gekleideten Ehefrau im Schatten ihres Mannes endlich die Kämpferin wird, als die man Ruth Bader Ginsburg heute feiert.

Mit ihrem ersten grossen Erfolg vor Gericht 1972 und einem Bild der realen Ruth auf den Stufen des Supreme Court endet «On the basis of sex». An diesem Punkt müsste die interessante Geschichte beginnen. Doch wie vergleichbare Biopics um Frauen der amerikanischen Zeitgeschichte, etwa jenes um die von Natalie Portman verkörperte Jackie in Pablo Larraíns gleichnamigem Film von 2016, gibt sich auch «On the basis of sex» jede Mühe mit der Rekonstruktion von Kolorit und Kostüm. Doch die mit den besten Absichten recht brav erzählte Emanzipationsgeschichte bleibt weit hinter der Wirklichkeit zurück. Ihre unbequeme Protagonistin wird erst in der Gegenwart spannend und kontrovers.

Die Galionsfigur eines widerständigen Amerika

Denn die heute 85-jährige RBG, wie sie von allen genannt wird, ist eine Legende, die gerade in den letzten Jahren als Galionsfigur des anderen, linken, widerständigen Amerika eine enorme Popularität gewonnen hat. Es gibt Tassen und T-Shirts mit ihrem Konterfei und dem Spruch «Can’t spell truth without Ruth», Memes, die sie als Superheldin zeigen, eine witzige Parodie durch Kate McKinnon in «Saturday Night Live». Wo immer Ginsburg auftritt, liegt ihr ein jugendliches Publikum zu Füssen.

Der ungleich lebendigere CNN-Dokumentarfilm «RBG. Ein Leben für die Gerechtigkeit» von Betsy West und Julie Cohen (Schweizer Kinostart am 28. März) führt die Geschichte von «On the basis of sex» quasi fort. Er zeigt die zierliche alte Dame mit dem straff zurückgekämmten Haar und der dunklen Riesenbrille, wie sie im Fitnessstudio Push-ups macht, kichernd die Late-Night-Show von McKinnon verfolgt, zu jedem Urteil den passenden Kragen aus dem Kleiderschrank holt, mit ihrem republikanischen Kontrahenten Antonin Scalia in die Oper geht. Keine Frage: RBG geniesst den späten Ruhm, begegnet den Ehrungen mit der ihr eigenen Mischung aus trockenem Witz und Zurückhaltung. Hier sitzt jede Pointe.

Vor allem aber zeigt der Dokumentarfilm RBGs Karriere als Richterin am Supreme Court: Wie sich Bill Clinton nach einem nur viertelstündigen Gespräch 1993 dazu entschliesst, sie als Richterin zu nominieren. Ihre angespannte Selbstpräsentation vor der Berufung. Und er zitiert, im O-Ton und aus dem Off, ihre entschiedenen und immer regelmässigeren «dissenting votes», während das Oberste Gericht der USA ab 2005 immer weiter nach rechts rückt.

«I dissent», ist der von ihr am häufigsten gehörte Satz. So etwa, wenn sie sich für eine Frau ausspricht, die auf gleichen Lohn wie ihre Kollegen klagt, sich wiederholt für ein Recht auf Abtreibung einsetzt oder die in Kalifornien praktizierte Todesstrafe per Giftspritze kritisiert. Einzig, als sie sich im Zuge der amerikanischen Präsidentschaftswahl 2016 klar für Hillary Clinton und gegen den Kandidaten Donald Trump ausspricht und ihn einen Lügner nennt, schiesst sie über das Ziel hinaus und beschädigt mit dieser direkten politischen Aktion den Ruf der Unabhängigkeit des hohen Gerichts. Ruth Bader Ginsburg hat sich für diesen Ausbruch entschuldigt. «Ich wäre auch gern auf der Seite der Mehrheit», sagt sie einmal im Film. Dass sie es nicht ist, ist einmal keine Frage des Geschlechts. Sondern der politischen Haltung.

 

In diesem Umfeld fällt schon auf, wer keine Krawatte trägt: «On the Basis of Sex» zeigt die junge Ruth Bader Ginsburg (Felicity Jones) beim Studienbeginn. (Bild: PD)

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