Elf Malerinnen im Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen – die Vorläuferinnen der Frauenemanzipation
Hinter einem jahrzehntelangen Kampf zeigte sich endlich ein gewisser Erfolg: das Frauenstimmrecht 1971. 2021 feiert man in der Schweiz seinen 50. Geburtstag. Ob das Frauenstimmrecht aber schon richtig volljährig ist, bleibt noch offen. Das Historische und Völkerkundemuseum beleuchtet eine andere Emanzipationsgeschichte der Frauen.
Auch zum Bereich der bildenden Kunst mussten sie sich den Zugang erst erkämpfen. Wie die Ausstellung unter dem Titel «Berufswunsch Malerin! Elf Wegbereiterinnen der Schweizer Kunst aus 100 Jahren» widerspiegelt. Dieser wichtige und sehenswerte Anlass im HVM St. Gallen dauert bis zum 31. Januar 2021. Dr. Daniel Studer, Direktor des HVM St. Gallen, befasst sich sein ganzes Berufsleben lang mit Frauenkunst. Ihm ist es ein grosses Anliegen, Frauenkunst ins Museum zu bringen. Mit der neuen Ausstellung «Berufswunsch Malerinnen» hat er ein zentrales Thema aufgegriffen, das sonst in Kunstkreisen eher stiefmütterlich behandelt wird. Begleitet wird die Ausstellung von einem wunderschön gestalteten Buch, das Daniel Studer herausgegeben hat.
Die etwa 336 ausgestellten Objekte – davon knapp 50 Leihgaben – verdeutlichen gleichzeitig die Sozialgeschichte jener Zeit. Erstaunlich, dass es bereits im 19. Jahrhundert zahlreiche Frauen gab, die nicht einfach nur zum Zeitvertreib malten, wie das für Töchter aus gutem Hause damals üblich war. «Berufswunsch Malerin» stellt elf Frauen vor, die zwischen 1825 und 1895 geboren wurden, Pionierinnen der bildenden Kunst n der Schweiz, deren Leben und Werk für das Schweizer Kunstschaffen repräsentativ ist.
Sie alle konnten von der Malerei leben, weil sie ihr Handwerk verstanden, und weil sie nicht die für ihre Zeit klassische Rolle der Frau einnahmen. Ihre qualitativ hochstehenden Werke bestehen denn auch problemlos den Vergleich von Werken männlicher Kollegen, obwohl sie nicht die gleichen Voraussetzungen betreffend Ausbildung und Ausstellungsmöglichkeiten besassen. Um ihr künstlerisches Handwerk zu lernen und ein ernstzunehmendes Werk zu schaffen, hatten alle viele Schwierigkeiten zu überwinden. Der Zugang zu Kunstakademien blieb ihnen bis 1919 verwehrt. Den akademischen Unterricht mussten sie privat organisieren. Diese Malerinnen könnte man sozusagen als Vorläuferinnen der Frauenemanzipation bezeichnen.
Von den elf Künstlerinnen stammten sechs aus der Ostschweiz. Anna Elisabeth Kelly (1825 – 1890) ist die erste bekannte St. Galler Malerin. Hervorzuheben sind in erster Linie ihre schönen Landschaftsmalereien. Marie-Louise Bion (1858- 1939) kam aus einem alten St. Galler Geschlecht. Sie war in erster Linie Portraitmalerin (siehe auch das Bild auf der Einladungskarte). Martha Kunz (1876- 1961) ist berühmt für ihre japanisierenden Farbholzschnitte. Hedwig Scherrer (1878-1940) war eine vielseitig tätige Künstlerin. Auch die Textilkünstlerin Maria Geroe-Tobler (1895 – 1963), ausgebildet im Bauhaus Dessau, stammte aus St. Gallen. Ida Baumann’s Wurzeln (1864 -1932), die schnell als Portrait-Malerin Erfolg hatte, befinden sich in Herisau. Sie lebte lange in England und hatte ihr Atelier in London.
Zu der Ostschweizer Künstlerinnen-Gruppe zählt auch die aus Winterthur stammende, vielseitige Sophie Schäppi (1852-1921). Innerhalb der Ausstellung wurde ihr ein eigener Raum eingerichtet. Damit wird ihr Werk erstmals in grösserem Umfang gezeigt und «ins richtige Licht gerückt». Zürich ist vertreten mit der energischen Ottilie Wilhelmine Roederstein (1859 – 1937). Für das Mittelland westlich von Zürich stehen die beiden aus grossbürgerlichen deutschen Familien stammenden Malerinnen Louise Catherina Breslau (1856-1927), eine der bekanntesten Schweizer Künstlerinnen des 19. Jahrhunderts Die emanzipierte Frau war auch Ritter der Ehrenlegion. Hinzu kommt Clara von Rappard (1857 – 1912) mit Schwerpunkt Landschaften und Portraits. In ihrem Werk wird das internationale Milieu der Tourismuszentren des Berner Oberlandes spürbar. Martha Stettler, Spätimpressionistin (1870 – 1945) war hauptsächlich in Paris tätig.
Zu Lebzeiten hatten diese elf Pionierinnen der bildenden Kunst Erfolge. Nach ihrem Tod rückten die meisten in den Hintergrund oder gerieten ganz in Vergessenheit. Erst in jüngster Zeit setzte eine Wiederentdeckung dieser Künstlerinnen ein.
Bild: Marie-Louise Bion, Selbstporträt, 1891, Kunstmuseum St.Gallen