Friedensnobelpreis für Nadia Murad und Denis Mukwege – die Stimmen der Vergewaltigungsopfer
Als Kind träumte Nadia Murad davon, Lehrerin zu werden oder einen Schönheitssalon zu eröffnen. Sie hat sich für ein Studium entschieden, als die Kämpfer des Islamischen Staats (IS) im August 2014 das Dorf Kojo im irakisch-syrischen Grenzgebiet westlich von Mosul überrennen. Die Extremisten bringen Hunderte von Jesiden um, unter ihnen Murads Mutter und sechs Brüder.
Murad selbst und zwei ihrer Schwestern landen mit vielen anderen Frauen und Mädchen der Minderheit in IS-Gefangenschaft und werden wie Sklaven behandelt. Die damals 21-Jährige wird mehrfach verkauft und von ihren Peinigern vergewaltigt und gefoltert.
Ende 2014 gelingt Murad die Flucht, mit Hilfe einer armen muslimischen Familie entkommt sie in den kurdischen Teilstaat im Nordirak. Obwohl es für sie bedeutet, das Trauma immer wieder neu zu durchleben, beschliesst sie, an die Öffentlichkeit zu treten und über ihre Qualen zu sprechen. Sie wird damit zur Stimme Tausender Jesidinnen, deren Schicksal in Vergessenheit zu geraten droht, obwohl die Uno das Verbrechen an der Minderheit als Genozid eingestuft hat. Unermüdlich setzt sie sich fortan dafür ein, dass Vergewaltigung als Waffe in Kriegen wie andere Verbrechen verfolgt wird. Nie wieder solle ein Mädchen das Gleiche erleben wie sie, schreibt sie in ihrer Autobiografie «The Last Girl» (deutsch: «Ich bin eure Stimme»).
Der Friedensnobelpreis 2018 geht zum einen an die Uno-Sonderbotschafterin Nadia Murad, die sich für die Strafverfolgung der IS-Verbrechen einsetzt. Sie selbst ist vom IS versklavt und vergewaltigt worden. Der zweite Preisträger 2018 ist der kongolesiche Arzt Denis Mukwege, ein weltweit tätiger Experte bei der Behandlung von Vergewaltigungstraumatas und ein bedeutender Aktivist gegen sexuelle Gewalt. (Bild: François Lenoir / Yves Herman / Reuters)
Die irakische Regierung wie die kurdische Regionalregierung haben Murad nach Bekanntgabe des Nobelpreis-Komitees mit Glückwünschen überhäuft. Dass die irakischen und kurdischen Truppen ihren Anteil an dem Verbrechen haben, weil sie vor dem IS davonliefen, kehren beide Seiten bis heute unter den Teppich.
Obwohl Tausende von IS-Kämpfern gefangen genommen und vor Gericht gestellt wurden, sei bis heute kein einziger wegen sexueller Gewalt angeklagt worden, kritisiert die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Derweil werden Hunderte von Jesidinnen noch vermisst, andere fristen ein trostloses Dasein in Vertriebenenlagern. Viele Jesiden hoffen, dass mit der Ehrung von Murad das Schicksal der Überlebenden wieder in den Vordergrund tritt.
Bild: Nadia Murad
Text: Inga Rogg, NZZ