Geschnitztes Appenzeller und Toggenburger Brauchtum
Neben der Bauermalerei, gehört die Holzschnitzerei zu den wichtigsten künstlerischen Traditionen der bäuerlichen Kultur im Appenzellerland und im Toggenburg. Da aber der Bekanntheitsgrad in der aller Öffentlichkeit auf der Tafelmalerei liegt, ist es an der Zeit, die Holzschnitzerei ins richtige Licht zu rücken.
Das Ins-Licht-Rücken beabsichtigt die neue Sonderausstellung «Geschnitztes Appenzeller Brauchtum» im Appenzeller Volkskundemuseum in Stein, die sich bis zum 22. Januar 2023 präsentiert. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die grösste Ostschweizer Privatsammlung mit Senntümern (Alpaufzügen) bekannter Schnitzer und einer Schnitzerin aus der Mitte des 20. Jahrhunderts bis zur Jetztzeit. Alle Schnitzenden sind oder waren in der Landwirtschaft tätig und sind Autodidakten. Ihr Hauptthema ist der Alpaufzug als Höhepunkt im bäuerlichen Jahresablauf: der festliche, ritualisierte Zug der Hirten vom Winterstall auf die Alp, die Alpfahrt, beziehungsweise das «Öberefahre» genannt».
Die Kunst der Senntumsschnitzerei besteht darin, das traditionelle «Öberefahre» möglichst lebendig ins Holz zu bringen. Die Alpfahrt erfolgt nach einer festen Reihenfolge: Ziegenbub, Ziegen, Ziegenmädchen, Vorsenn, drei Schellenkühe, weitere vier Sennen, Viehherde, Bauer (meist der Alpbesitzer) mit Sennenhund, Fuhrmann mit pferdegezogenem Lediwagen, zuletzt gelegentlich ein Schweinewagen. Das Motiv ist stets dasselbe, doch haben die Schnitzenden ihren eigenen Stil. Zum Schnitzen wird Lindenholz bevorzugt, doch prinzipiell eignen sich fast alle Hölzer, das konnte der Urnäscher Schnitzer Heinrich Müller unter Beweis stellen, hat er doch Kühe in 148 verschiedenen Hölzern aus aller Welt geschaffen.
Die Senntums-Schnitzerei im Appenzellerland beider Rhoden ist in der Zeit um das Jahr 1850 entstanden. Die Stiftung für Appenzellische Volkskunde besitzt eine in Hundwil geschnitzte Kuh aus dem Jahr 1850. «Massgebend für das Aufleben bäuerlicher Traditionen waren zu jener Zeit das erwachende Selbstbewusstsein des Bauernstandes, die Manifestation des Besitzerstolzes, der aufkommende Tourismus und gewiss auch die Heiterkeit und Sinnesfreude der Bauersleute. Wer die Sennen beim Öberefahre zauren hört, der wird ihr heiteres Gemüt besser verstehen», schreibt Hans-Rudolf Merz in seinem Buch «Senntumsschnitzerei im Appenzellerland und im Toggenburg».
Ob die Schnitzerinnen und Schnitzer wohl ein Atelier haben, wo ihr geschnitztes Appenzeller Brauchtum entsteht? Wohl kaum. Eher ist es so, wie Emmi Meier-Bruderer aus Hundwil es beschreibt. Ihr Atelier sei der Stubentisch. Hier richte sie jeweils ihre Schnitzwerkstatt ein, mit allem was sie zum Schnitzen braucht. «Meine Hauptschnitzzeit ist während der Wintermonate, wenn nicht so viel bäuerliche Arbeit anfällt», sagt sie. In der Sommerzeit, gibt es auf dem Hof mehr zu tun, dann schnitze sie je nach Zeit und nach Lust und Laune.
Einen weiteren Schwerpunkt in der Ausstellung bilden die Art-Brut-Arbeiten des Herisauers Jakob Müller (1922- 2005). Er schnitze nicht nur Senntümer, sondern auch Szenen des lebendigen Appenzeller Brauchtums, wie die Landsgemeinde oder Silvesterkläuse, mitsamt ihrer prächtigen Hauben.
Eine ganze Reihe von Begleitveranstaltungen umrahmen die Sonderausstellung im Appenzeller Volkskundemuseum Stein, Dorf, 9163 Stein AR, Tel.071 / 368 50 56.