
Nicht zur Clownin geboren, aber herangewachsen
Die St. Galler Clownin Gardi Hutter hat während ihrer Karriere viel erreicht. Kritisches Denken hat sie nicht in die Wiege gelegt erhalten, sondern selbst trainiert.
In der Maturaarbeit beschäftigte sich Gardi Hutter mit dem Sartre-Zitat: «Die Jugend will, dass man ihr befiehlt, damit sie die Möglichkeit hat, zu widersprechen.» Sie selbst sagt, sie sei heute sehr stolz auf die junge Frau, stolz und gerührt. Denn eigentlich habe sie sich eher als ignorant gesehen. Mit Politik als tägliches Brot ist sie nicht aufgewachsen. Man habe sich bloss von den Nachbarn erzählt. Zu argumentieren und ihre Meinung auszudrücken habe sie darum nie gelernt. Selbst eine eigene Meinung zu haben, über das Familienleben hinaus, war nicht erwünscht. Pflicht und Arbeit waren zentral, das war streng geregelt innerhalb der Gesellschaft, in der die spätere Clownin gross geworden ist.
Sie sagt heute, sie habe sich unglücklich gefühlt. Erzogen im katholischen Mädcheninternat und später an der Kanti in St. Gallen. Aus dem katholischen Mädchen wurde später eine Linke, extrem links habe sie gedacht, sich politisch engagiert und gemerkt, dass sie keineswegs «dümmer als die männlichen Kollegen» war. Im Frühjahr 1970 war sie Mitglied der Redaktion der Agitationszeitung «Roter Gallus». An Bord war auch Niklaus Meienberg, damals unter dem Pseudonym «Urs Fürchtegott Bitterschwanz». Ihr Schaffen wurde zensiert, als sie ein Anti-Kriegsgedicht von Wolfgang Bochert zitierten und fanden zu «einer gewissen Berühmtheit innerhalb der Schweiz», jedenfalls in den linken <Kreisen.
Die junge Frau gab sich bockig und fühlte sich melancholisch und oft unglücklich und suchend. Das Selbstwertgefühl hatte die Farbe schwarz, denn es fühlte sich alles falsch an. «Man kann sich die Gesellschaft der 1950er und 1960er Jahre heute gar nicht mehr vorstellen», erzählt Gardi Hutter. Man züchtigte die Kinder, um sie zu erziehen. Dafür war der Vater zuständig, wenn er von der Arbeit nach Hause kam. Das habe sie zur Rebellin gemacht und 1968 habe dann sowieso alle Regeln auf den Kopf gestellt. Man durfte die Wut, die in einem steckt, plötzlich benennen. Die feministische Kultur kam ebenfalls dazu, denn Gardi hatte sich immer an drei Brüdern zu messen, die immer mehr Freiheiten hatten als sie.
Und selbst in der linksextremen Szene entwickelten oft die Männer die Ideen, während die Frauen kopieren und Kaffee kochen durften. Die Frauen fühlten sich damals für die Politik nicht genug klug und zu wenig begabt, auch der Emotionen wegen, die man jeder Frau zuschrieb. Erst nach zwei Jahrzehnten legte Hutter selbst ihr Denken ab, diesen «Schmarren», wie sie es heute nennt. In der Kunst hatte sie, weil dies ebenfalls etwas war, was die Frauen nicht richtig verstehen, «freie Fahrt». Man fand Frauen aus biologischen Gründen schon nicht komisch. Dann kam die finanzielle Autonomie, die es erlaubte, auch komisch und unabhängiger zu sein.
«Komik beinhaltet Kritik und Aggression», beschreibt die Künstlerin. Das widerspreche den weiblichen Tugenden der Sanftmut und Schönheit. Selbst entwickelte sie diesbezüglich ihre Autonomie stetig weiter. Sie sah sich als Intellektuelle, als sie noch Schülerin war. Doch es gab keinerlei Vorbildfrauen für sie. Die meisten wollten nur schön sein. Sie fand ihr Publikum in Frauen, die ähnlich dachten und sich ebenfalls kritischer sahen. Und, sie habe fast feministische Grabenkämpfe ausgelöst, als sie als erste komische Frau auftrat. Immerhin half dies vielen anderen Frauen, für gleiche Rechte, auch in der Kunst, einzustehen.
Die wütende junge Frau, die Sartre in ihrer Kanti-Arbeit auseinandernahm ist zwar nicht zahmer, aber selbstbewusst geworden. Eine Art Selbsttherapie war das. Eine Clonwin zu sein, das passte wunderbar, denn Clowns sind oft tragische Figuren. «Ich konnte, wie in einem Komposthaufen, alles Unverdaute aus der Jugend in die Figur hineinpacken und daraus Stücke machen.» Vielleicht habe sie aber sogar bei den Zuschauenden gleiche Emotionen bewirkt. Dem Deutschlehrer ist die Künstlerin heute noch dankbar, denn er war der einzige, der Potential in ihr sah und sie ernst nahm. Franz Hagmann sei sie darum immer dankbar, er habe sie bei der Wahl des Studiums an der Schauspielschule unterstützt. Kunst war in ihrem daheim Faulenzen, Kino Schund und Theater gab es nicht. Wenn Gardi Hutter wieder schwierigere Zeiten durchlebt, die es auch immer wieder gibt, sieht sie heute die Situation grau und nicht mehr schwarz. Sie leide nicht mehr, doch das habe sie lernen müssen.