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Pionierinnen für das Frauenstimmrecht: Emilie Lieberherr (1924-2011)

Pionierinnen für das Frauenstimmrecht: Emilie Lieberherr (1924-2011)

«Mänscherächt für beidi Gschlächt!», fordert Emilie Lieberherr am 1. März 1969 auf dem Bundesplatz am «Marsch nach Bern». Gemeinsam mit 5’000 Demonstrantinnen verlangt sie das Wahl- und Stimmrecht für Frauen. Der Druck auf den Bundesrat wird so gross, dass er noch im selben Jahr eine Vorlage für die Einführung des Frauenstimmrechts präsentiert.

Emilie Lieberherr wächst in einfachen Verhältnissen in Erstfeld im Kanton Uri auf. Die Mutter ist gebürtige Italienerin und Damenschneiderin, der Vater ein Toggenburger Eisenbahner. Obwohl Emilie Lieberherr reformiert ist, besucht sie das katholische Internat Theresianum Ingenbohl im Kanton Schwyz, das sie 1942 mit dem Handelsdiplom abschliesst. Die darauffolgenden Jahre arbeitet sie bei der Schweizerischen Bankgesellschaft in Zürich und absolviert die Wirtschaftsmatura. Anschliessend studiert sie Nationalökonomie und Pädagogik in Bern, ihr Studium finanziert sie sich als Personal- und Verkaufstrainerin an der Berufsschule.

In dieser Zeit lernen sich Emilie Lieberherr und Hermine Rutishauser kennen. Die beiden verbringen die darauffolgenden 60 Jahre – bis an ihr Lebensende – gemeinsam. Ende der 1950er Jahre zieht es die zwei Frauen in die Welt hinaus. Sie reisen in die USA und arbeiten von 1957–1959 in verschiedenen Anstellungen als Erzieherinnen und Hausangestellte.

Zurück in der Schweiz tritt Emilie Lieberherr 1960 in Zürich eine Stelle als Berufsschullehrerin für das Verkaufspersonal an. 1961 ist sie Mitbegründerin des Schweizerischen Konsumentinnenforums, das sie von 1965–78 präsidiert. Im Jahr 1965 promoviert sie an der Universität Bern.

Emilie Lieberherr engagiert sich im Schweizerischen Verband für Frauenstimmrecht. 1959 lehnten zwei Drittel der stimmberechtigten Männer die erste eidgenössische Vorlage zur Einführung des Frauenstimmrechts ab. Die Enttäuschung und Empörung der Stimmrechtsbefürworterinnen ist gross. Hinzu kommt, dass die Schweiz 1963 dem Europarat beitritt und beabsichtigt – mit einigen Jahren Verzögerung –, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zu unterzeichnen. Allerdings will der Bundesrat zwei Vorbehalte anbringen: einen für die fehlenden politischen Rechte der Frauen sowie einen weiteren für die ungleiche Ausbildung von Mädchen und Jungen. Gegen diese Absicht des Bundesrates protestieren Frauenrechtlerinnen mit unterschiedlichen Aktionen. Dabei fordert insbesondere die Neue Frauenbewegung direkte Aktionsformen: einen Protestmarsch nach Bern. Dem Schweizerischen Verband für Frauenstimmrecht ist dies zu radikal. Der Zürcher Frauenstimmrechtsverein aber zeigt sich kämpferischer. Er bildet ein Aktionskomitee und ruft gemeinsam mit Delegierten aus Basel-Stadt und Winterthur zum Protestmarsch auf.

Am 1. März 1969 demonstrieren am «Marsch nach Bern» rund 5’000 Frauen (und Männer) gegen die weitere Verzögerung der Einführung des allgemeinen Stimm- und Wahlrechts. Als Präsidentin des Zürcher Aktionskomitees hält Emilie Lieberherr eine couragierte und vielbeachtete Rede auf dem Bundesplatz. Sie skandalisiert die vom Bundesrat geplanten Vorbehalte zur Unterzeichnung der EMRK: «Diese Nachricht hat unsere gut eidgenössische Geduld aufs Höchste strapaziert. Sie ist ein Schlag ins Gesicht der Frauen und hat unser Vertrauen in den Bundesrat erschüttert. Wir stehen hier nicht als Bittende, sondern als Fordernde.» Im Anschluss an ihre Rede setzt auf dem Bundesplatz ein Pfeifkonzert mit Trillerpfeifen ein.

Der «Marsch nach Bern» erregt schweizweites Aufsehen und erhöht den Druck auf den Bundesrat. Das Parlament lehnt es ab, die Menschenrechtskonvention nur mit Vorbehalten zu unterzeichnen. Darauf präsentiert der Bundesrat noch im selben Jahr eine Vorlage für die Einführung des Frauenstimmrechts. Diese wird 1971 auf eidgenössischer Ebene angenommen.

Ein Jahr zuvor hatte der Kanton Zürich das kantonale Frauenstimm- und -wahlrecht eingeführt. Emilie Lieberherr – als bekannte Vorkämpferin für die Frauenrechte – wird am 8. März 1970 als erste Frau für die Sozialdemokratische Partei (SP) in den Zürcher Stadtrat gewählt. 1978 zieht sie als erste Deutschschweizer Frau in den Ständerat ein. Und nach der Einsetzung der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen wird sie deren erste Präsidentin (1976–1980). Emilie Lieberherr engagiert sich zeitlebens für die rechtliche und tatsächliche Gleichberechtigung der Frauen. Sie wirkt mit an der Botschaft des Bundesrates zur 1976 eingereichten Volksinitiative «Gleiche Rechte für Mann und Frau» und setzt sich für ein neues Eherecht ein.

Nach Auseinandersetzungen mit ihrer Partei zieht sie sich 1983 als Ständerätin zurück; 1990 wird sie endgültig aus der SP ausgeschlossen. Sie bleibt aber weiterhin Vorsteherin des Zürcher Sozialamtes. Unter ihrer Leitung wird die Alimentenbevorschussung eingeführt, es werden zahlreiche Altersheime sowie Jugendtreffs geschaffen und Programme für arbeitslose Jugendliche initiiert. Nach 24 Jahren zieht sie sich 1994 als Stadträtin zurück. 2011 stirbt sie mit 86 Jahren (Quelle: EKF).

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