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«Sollen Frauen die Politik lieber bleiben lassen?»

«Sollen Frauen die Politik lieber bleiben lassen?»

Den «Blick am Abend» lese ich nur ganz selten. Vielleicht ist dies ein Fehler, denn letzte Woche stiess ich auf einen «Generationen-Clash», der mich erstaunte und mir zu denken gab.

Jürg Ramspeck tauscht sich offenbar als «Elder Statesman» mit «Young Küken» Joëlle Weil kolumnenartig aus. Folgendes gab er ihr zu bedenken: «Liebe Joëlle, von Ihren Nationalratskolleginnen gescholten, rät Frau Susanne Leutenegger Oberholzer jungen Frauen davon ab, sich um ein politisches Mandat zu bemühen. Und das auch noch in einem Wahljahr. Kannst du sie verstehen? Spricht da langjährige Erfahrung oder doch nur ein momentanes Missbehagen? Anders gefragt: Hast du dir schon einmal überlegt, eine Kandidatur, also die ganze Ochsentour in einer Partei mitzumachen?»

Young Küken Joëlle antwortet
«Lieber Herr Ramspeck, ich bin es leid, immer wieder darüber reden zu müssen, was wir Frauen sollen… In dieser ganzen Gleichstellungsfrage steht doch eine Frage im Vordergrund (oder sollte sie zumindest): Was will ICH? Sobald ich mir von der Politik, von der Wirtschaft, von Frauenfreunden, von Frauenfeinden vorschreiben lasse, was das Beste für mich wäre, hab ich schon verloren. Dann füge ich mich in eine Schablone. Diese vermeintlichen Erfolgsrezepte, die man sich für uns ausdenkt, sind doch Schwachsinn. Keine Frau sollte sich eine harte Schale zulegen müssen, nur weil sie damit weiterkommt. Das soll auch kein Mann. Das soll gar keiner. Es ist absurd, zu glauben, dass man sich für die Arbeitswelt oder für die Politik verändern muss. Und es kotzt mich regelrecht an, dass es anscheinend nur einem Typ Mensch vergönnt sein soll, erfolgreich zu sein.»

«Wie negativ würden sich sensible Politiker auf unsere Gesellschaft auswirken?», stellt  Küken Joëlle Weil in den Raum.
«Frau Leutenegger Oberholzer: Weinen Sie zu Hause in Ihr Kissen, wenn Ihnen der Druck zu gross wird. Ich lasse mich nicht als Frau typisieren. Frausein ist keine Charaktereigenschaft. Sie können mir keine Ratschläge erteilen, nur weil wir beide mit einer Gebärmutter zur Welt gekommen sind.» Nicht schlecht, diese junge Frau, oder?

Die Medien haben berichtet
Um mir aber ein Bild zu machen, ob Frau Leutenegger Oberholzer wirklich so doof ist, jungen Frauen von einer politischen Tätigkeit abzuraten, musste ich recherchieren. Irgendwie hatte ich da wohl etwas verpasst. In den meisten Medien fand ich entrüstete Artikel darüber. Offenbar findet Leutenegger Oberholzer wirklich, dass Frauen mit einer guten Ausbildung sich eher im Beruf hochkämpfen und dort mehr verdienen sollen. Dabei hätten wir doch gute Politikerinnen mehr als nötig. Es erstaunt darum nicht, dass sie bei Politikerinnen aller Farben schlecht ankommt. «Dann soll sie sich doch nicht mehr als Nationalrätin aufstellen lassen», rät die Basler Grossrätin Patricia von Falkenstein und findet es stossend, dass eine Frau, die eine so flotte und erfolgreiche Karriere durchlaufen habe, so daher rede. Zudem verlaufe eine politische Karriere parallel zu einer beruflichen. Die Vereinbarkeit von Beruf, Politik und Familie sei auch für Männer nicht einfach.

Die Politik macht viel Freude
Nationalrätin Daniela Schneeberger ist enttäuscht von Leutenegger Oberholzer. Ihr macht die Politik viel Freude. Gerade Leutenegger Oberholzer sei stets zuvorderst gestanden und habe junge Frauen zum Mitwirken in der Politik ermuntert – und das zu Recht.

Oft herrschen raue Sitten
Mirjam Ballmer, ebenfalls Basler Grossrätin, ist einverstanden damit, dass die Politik oft rau sei. Die Rahmenbedingungen seien aber auch im Wirtschaftsleben nicht anders – und dort würde man wohl kaum einer Frau vom Erfolg abraten.

Wir brauchen überall junge Frauen, die für ihre Überzeugung und bessere Rahmenbedingungen kämpfen», sagt Grossrätin Mirjam Ballmer.

Managementqualitäten sind notwendig
Die frühere Basler Landrätin, Esther Maag, hat sich den Grünen Unabhängigen angeschlossen. Es brauche Managementqualitäten, alles unter einen Hut zu bringen, sagt die zweifache, alleinerziehende Mutter, die neben ihrer politischen Arbeit auch in zwei Unternehmensleitungen sitzt. Ein Unterschied zwischen Männer- und Frauenkarrieren sei nicht von der Hand zu weisen. Der Mann habe meistens eine Frau an der Seite, die ihm den Rücken frei halte. Bei Frauen sei dies kaum der Fall. Es gelte aber, Prioritäten zu setzen.

Es wird alle vier Jahre wieder gewählt
Nationalrätin Silvia Schenker zeigt sich überrascht, gerade weil Leutenegger Oberholzer sich immer für die Frauenförderung eingesetzt habe. «Es ist nicht gut, wenn keine andere Option da ist und jemand völlig abhängig vom politischen Amt ist», denn schliesslich werde alle vier Jahre wieder gewählt, sagt sie. Sie frage sich schon hin und wieder, ob wohl alle jungen Nationalratskollegen und –kolleginnen auch die berufliche Zukunft nach dem Amt im Auge haben.

Man sollte früh mit der Politik beginnen
Landratspräsidentin Myrta Stohler ist ebenfalls erstaunt, dass eine SP-Exponentin den Frauen ein Leben ohne Politik ans Herz lege. Selber habe sie im Alter von 40 Jahren begonnen zu politisieren und denke oft, sie hätte früher damit beginnen müssen. Die Frage «Job oder Amt» stelle sich zudem nicht allen jungen Frauen, denn nicht jede werde gleich in den Nationalrat gewählt. Samira Marti ist erst 21 und steht am Anfang einer politischen Karriere. Sie finde es schwer, Studium, Beruf und Politik unter einen Hut zu bringen. Das sei aber niemals ein Grund gewesen, nicht mehr zu politisieren. Gut finde sie aber, dass Leutenegger Oberholzer das Thema Frau und Politik überhaupt aufgegriffen habe.

Ein Bundeshaus, Rats- und Stadthäuser ohne Frauen würden alles zunichte machen, was bisher erreicht wurde.

Susanne Leutenegger Oberholzer ist heimatberechtigt in Bussnang, Goldingen und Solothurn und wohnt in Augst BL. Sie hat Volkswirtschaft und Rechtswissenschaften studiert, schloss beides mit Lizenziat ab, arbeitete als Ökonomin und Wirtschaftsjournalistin. Bekannt wurde sie als Zentralsekretärin der Gewerkschaft Bau und Industrie. Leutengger Oberholzer war Mitglied der POCH und vertrat diese Partei im Landrat Basel Landschaft und im Nationalrat von 1983 bis 1991. 1993 trat sie der SP bei und amtet seit 1999 wiederum als Nationalrätin, jedoch für diese Partei.

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