Was hat der schreckliche Mord an Sarah Everard mit Alltagssexismus zu tun?
Eine 33-jährige Frau verlässt die Wohnung einer Freundin in London und kommt nie zu Hause an. Nach ihr wird tagelang gesucht. Ein Elite-Polizist soll sie entführt und ermordet haben.
Das Verbrechen ist schrecklich und könnte sich in (fast) allen grösseren Städten der Welt ereignet haben. Eine Frau macht sich spät nachts auf den Heimweg – und kommt dort niemals an. Sie wird längere Zeit gesucht und schliesslich als Leiche aufgefunden. Dass ein Elite-Polizist als Täter festgenommen wird ist auch nicht einmal speziell, denn immerhin weiss einer, mit dem Fachwissen dieses Berufes, eine Tat zu vertuschen (Sorry an alle korrekten Polizeileute, die uns täglich beschützen!).
Die Tat stellt sich relativ schnell als Sexualdelikt mit Mordfolge heraus. Ein scheussliches Verbrechen! Das Verschwinden, die Suche, die zerstörten Hoffnungen der Freunde, der Angehörigen, der Nachbarn, der Arbeitskollegen… und schliesslich der furchtbare Fund bewegen nicht nur Grossbritannien, sondern die ganze Welt. Die Tat löst zudem Debatten über die Sicherheit von Frauen und über das Vorgehen bei Mahnwachen und Demonstrationen in Zeiten der Pandemie aus. Die Mahnwache fand nämlich grösstenteils maskenfrei statt (Stichwort: Verhüllungsverbot!). Man entschied sich bewusst, die Gesichter zu zeigen. Selbst Herzogin Kate war in privater Mission unmaskiert dabei.
Unter der Initiative «Reclaim These Streets» (Holt Euch diese Strassen zurück) wurden bis Freitagmorgen rund 45’000 Franken (umgerechnet) für mögliche Anwaltsgebühren gesammelt. Die Organisatoren der Demonstration kündigten an, sie würden bei einem möglichen Erfolg, das Geld an wohltätige Institutionen spenden. Man führe die Mahnwache in jedem Falle durch, denn «andernfalls werden wir gezwungen sein, die Mahnwache abzusagen, und keine Frau in England wird sich versammeln können, um ihre Rechte geltend zu machen.»
Die Londoner Polizei löste am Samstagabend die gerichtlich verbotene Mahnwache für das Mordopfer mit ruppigen Methoden auf, sodass es Rücktrittsforderungen gegen die Behördenleiterin Cressida Dick schneite. Die konservative Innenministerin Priti Patel sprach von «erschütternden Szenen» und forderte einen umfassenden Bericht über die Ereignisse an. Vorkämpferinnen gegen die Diskriminierung von Frauen, wie die Labour-Abgeordnete Jessica Phillips, nutzten den Internationalen Frauentag dazu, auf die Alltagsgewalt hinzuweisen. Im Parlament forderte der britische Premierminister Boris Johnson, gegen frauenfeindliche Sprüche vorzugehen. «Wir müssen uns mit dem Grundproblem des Alltagssexismus und der Apathie befassen, welche die Anliegen von Frauen nicht berücksichtigen – das ist das zugrundeliegende Problem», sagte Johnson. Kritiker warfen dem Premier vor, oft selbst sexistische Sprache benutzt zu haben. Die Regierung ist in nun unter Druck, mehr für den Schutz von Frauen zu tun.
Gefordert werden unter anderem Zivil-Polizisten in Bars und Clubs, bessere Beleuchtungen und Kameraüberwachungen in der Nacht. Polizei und Parlament stehen enorm in der Kritik. Frauenrechtsorganisationen entzogen der zuständigen Polizeichefin ihr Vertrauen. Ihr wird vorgeworfen, nicht angemessen auf die Vorfälle reagiert zu haben.
Bericht: Mirror / cfo
Bild : Victoria Jones Picture Alliance