Wohnwelten – Vom Umzug in mein Adlernest

Wohnwelten – Vom Umzug in mein Adlernest

Der Wechsel von einer grossräumigen in eine kleinere Wohnung ist mit innerem und äusserem Aufwand verbunden. Helga Giger erzählt, wie sie diese Situation gemeistert hat. Ihre Erzählung ist im Magazin Generation Superior erschienen. Im Einverständnis mit Herausgeberin Julia Onken, Redaktorin Meta Zweifel und Autorin veröffentlichen auch wir mit bestem Dank den Text.

Helga S. Giger

Meine 158 m2 grosse Wohnung war längst schon zu riesig geworden, einzelne Zimmer hatten ihre Funktion verloren und wurden nicht bewohnt. Mir war bewusst, dass ich mich würde verändern müssen. Als ich eine kleine Wohnung fand, die meinen derzeitigen Bedürfnissen eher entsprach, hatte ich noch keine Ahnung was mir zwei Monate lang bevorstehen sollte. Allerdings war mir klar, dass ich aus Platzgründen den grössten Teil meines Hausrats aufgeben müsse: Möbel, Bilder, Geschirr, Kleider, Wäsche. Auf zu viel Platz standen zu viele prall gefüllte Schränke. Von Vielem viel zu viel. Zuerst lud ich meine Kinder und Kindeskinder zu einer Wohnungs-Begehung und – wegen des Spassfaktors – zu einem anschliessendem Essen ein. Sämtliche Möbel und Bilder, die ich weggeben wollte, hatte ich mit Zetteln versehen. Alle wurden dazu aufgefordert, ihren Namen bei jenen Dingen eintragen, die sie gerne haben wollten. Die gefürchteten Überschneidungen blieben erfreulicherweise aus, sodass keine Unstimmigkeiten aufkamen. Sogar bei meiner im Grunde von allen bewunderten und gewünschten Gartenskulptur “Tristan”, gab es keine Auseinandersetzungen, alles verlief in Minne. Alle handlichen und kleineren Dinge wie Kleider, Geschirr, Tischwäsche und Deko-Objekte waren in einem Zimmer ausgelegt und mussten sofort mitgenommen werden. Die grösseren Objekte wurden dann nach und nach abgeholt, sodass ich die letzten Wochen in Fragmenten meiner Wohnung hauste. Ist sehr zu empfehlen, denn so wird man gleichsam auf Raten hinauskomplimentiert. Manches konnte ich noch via Internet bei ricardo.ch unterbringen, was mir übrigens einige “kurlige” Kontakte verschaffte. Den Rest des Hausrats erhielt das Brockenhaus.

Kein leichter Schritt 
Der Abschied von Dingen, die mein Leben begleitet hatten, erwies sich als der einfachere Teil meines Umzugs. Bedeutend schwerer fiel mir die Trennung von all den schriftlichen Zeugnissen, die sich im Verlaufe der Jahre angesammelt hatten. Da waren unendlich viele Briefe aus unterschiedlichen Lebensphasen. Da kamen Gratulationen und Kondolenzbezeugungen, Liebesbriefe, Lehrerbriefe, Briefe meiner Kinder und Eltern usw. ans Tageslicht. Da fand ich fast vergessene Zeugnisse zu verschiedenen Arbeitsphasen meines Lebens – und ich las alles, alles, Schönes und Trauriges, Lustiges und Unwichtiges. Ein tagelanger Prozess. Einmal sass ich fünf Stunden lang auf dem Fussboden -anschliessend konnte ich kaum mehr aufstehen – und las vertieft und fasziniert, manchmal unter Tränen. Nur das ganz Besondere behielt ich, sortierte es, den Rest warf ich weg. Ein Abfallberg. Heute, da ich Rückschau halte, sitze ich glücklich auf dem Balkon der kleinen Wohnung, die ich mein Adlernest nenne. Glücklich nicht nur, weil der Umzug hinter mir liegt oder weil ich mich hier so besonders wohlfühle. Nein, sondern weil dieses Abwerfen von “Materie” mich auch etwas über mich selbst gelehrt hat: Ich hänge bedeutend weniger an Dingen und Gegenständen, als ich zuvor gedacht hatte.

Im Magazin Generation Superior, das vierteljährlich erscheint, kommen Menschen zu Wort, die aufgrund ihres Lebensalters ein grosses Erfahrungskapital erworben haben. Sie erzählen über ihr Leben, über ihre Fachbereiche, über Ideen und Wünsche.

www.generation-superior.ch

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