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Zur EM im Frauenfussball: Im Fussball ist Gleichstellung noch kein Thema

Zur EM im Frauenfussball: Im Fussball ist Gleichstellung noch kein Thema

Kathrin Lehman, Fabienne Humm, Martina Voss-Tecklenburg oder Madeleine Boll sind Namen, die weitgehend unbekannt sind. Dabei haben diese Frauen Sportgeschichte geschrieben. Wären sie Männer, würde jede und jeder sie kennen, doch im Fussball ist die Gleichstellung von Mann und Frau noch kaum ein Thema.

Fussballer, die erreicht haben, was zum Beispiel eine Kathrin Lehmann erreichte, sind Millionäre und haben einen grossen Fankreis hinter sich. Nicht aber die Fussballerinnen. Sie kicken den Ball erfolgreich, doch ohne Aussichten auf Ruhm und Geld. Nur einzelne Spielerinnen wie Dickenmann bei Wolfsburg und Bachmann bei Chelsea können vom Sport leben.

Es ist zwanzig Jahre her, dass Kathrin Lehmann ihr erstes Länderspiel bestritt. Inzwischen ist sie zurückgetreten, doch hat sie in ihrem Sport praktisch alles erreicht, was es zu erreichen gibt. Kathrin Lehmann war Nationalspielerin im Fussball und im Eishockey und gewann in beiden Disziplinen die Champions League. Sie nahm an zwei Olympiaden teil und spielte in den höchsten Ligen der Welt.

Heute ist sie noch Schiedsrichterin, gründete eine Sportleragentur und einen Sportbildungscampus. Und das Schweizer Fernsehen schätzt die Ausnahmesportlerin als Fussballkommentatorin. In Deutschland und der Schweiz doziert Kathrin Lehmann zudem an diversen Hochschulen im Bereich Sportmanagement und -wissenschaften.

Die Walliserin Madeleine Boll brachte in der Schweiz den Frauenfussball ins Rollen. Sie fehlt auch heute noch an keinem Heimspiel der Frauen-Nati. Vor rund 50 Jahren begleitete sie einen Kollegen zum Training des FC Sion und durfte mitspielen – und fiel auf. Um Turniere zu bestreiten, fehlte dem Mädchen nur noch die Lizenz. Diese erhielt sie vom Schweizerischen Fussballverband SFV problemlos und wurde die weltweit erste Fussballerin mit einer offiziellen und gültigen Lizenz.

“Du lebst meinen Traum”, sagt die heute 63-Jährige zu Nati-Spielerin Fabienne Humm und erzählt ihr, dass ihre Lizenz ein “Versehen” gewesen sei. Als die Welt davon erfuhr, erregte das blonde Mädchen die Gemüter. “Darf Madeleine mit den Buben spielen?”, wurde in allen grösseren Medien auf der Welt gefragt. Sie durfte es danach nicht mehr. Fussball war klar Buben- und Männersache, weshalb man gar nicht auf den Namen geachtet hatte, als man die Lizenz ausstellte.

Es stehe nirgends, dass auch Mädchen spielen dürften, lautete die Begründung für den sofortigen Entzug. Und Fussball schade womöglich der Fruchtbarkeit der Frau, wurde vermutet. Auch Marie-Theres Nadig war übrigens eine begnadete Fussballerin, doch nahm man das Ski-Talent in diesem Sport ebenfalls nicht ernst.

Wenn am 16. Juli der Anpfiff zur Europameisterschaft erfolgt, wird sich nicht weltweit alles darum drehen, wie es beim Männerwettkämpfen ist. Bei der letzten Europameisterschaft der Frauen im Jahr 2013 wurden rund 220’000 Zuschauende gezählt, während es 2,4 Millionen bei den Männern im Jahr 2016 waren. Das Image ist eher schlecht. Der Frauenfussball sei langsam und wehleidig, ist zu vernehmen. Doch dem halten Studien entgegen.

Es ist richtig, dass Frauen den Ball weniger druckvoll abgeben und dass ihre Sprints weniger spritzig sind, doch dafür trödeln Männer bei den Wechseln, oder sie bleiben bei Verletzungen und Fouls länger am Boden liegen. Weniger Zuschauende bedeutet natürlich auch weniger Geld, weniger Sponsoren, weniger Medieninteresse. Praktisch alle Frauenteams werden von den Männerteams quersubventioniert. Darum haben nicht alle A-Teams ein Frauenteam. Dabei verdienen die Kickerinnen kaum etwas und gehen fast alle einem Vollzeitjob nach.

Fabienne Humm, ihres Zeichens auch FCZ-Captain, arbeitet zu 100 Prozent als Bürokauffrau und trainiert daneben bis zehn Stunden in der Woche und bestreitet samstags je ein Spiel. Für die EM- und WM-Vorbereitung hat sie ihr Pensum um 20 Prozent reduziert. Fabienne Humm erzielte vor zwei Jahren den schnellsten Hattrick der Frauen-WM-Geschichte: drei Tore in 275 Sekunden. Danach erhielt sie Angebote aus dem Ausland – und lehnte ab. Zu gefährlich fand sie es, einen sicheren Job aufzugeben.

Erst ab 1968 entstanden erste Frauenfussballklubs in der Schweiz. Nur in Schulmannschaften durften Mädchen mit Buben zusammenspielen. Madeleine Boll pendelte lange Zeit zwischen Mailand und dem Wallis, wo sie die Handelsschule absolvierte. 1970 fand die erste inoffizielle Frauenfussballweltmeisterschaft statt. Die Schweizerinnen nahmen aus Protest an der zweiten in Mexico nicht mehr teil, weil der italienische Schiedsrichter seine Landsleute derart begünstigt hatte.

Madeleine Boll beendete ihre Karriere bereits mit 25 Jahren – nach 14 Länderspielen und vier Toren. Ihr Hobby war nicht mehr mit dem Beruf und der Weiterbildung zur Sozialarbeiterin zu vereinbaren. Als Funktionärin der Amateurliga engagierte sich der “weibliche Köbi Kuhn” und “Pelé aus dem Wallis” noch. Nach ihrem Abgang im Jahr 2011 wurde sie durch einen Mann ersetzt.

Man müsste den Frauenfussball besser vermarkten, denn die Frauen werden oft mit den Männern mitverkauft. Es gibt auch kaum Zahlen, wie viel die Frauen und wie viel die Männermannschaften einnehmen. Doch weil der Fussball der grösste Teamsport der Frauen ist, wäre doch sicher ein Markt vorhanden. In den USA war der Fussball schon immer ein Frauensport, weil die Männer eher American Football spielen. Dort haben die Fussballerinnen einen angesehenen Platz.

Bild: Madeleine Boll ist die erste Fussballerin mit gültiger Lizenz, wenn dies auch versehentlich geschah (SRF) / Text: Sarah Forrer

Die Schweizer Frauenfussball-Nati hofft auf einen Einzug ins Achtelfinale. Island und Österreich müssten zu schlagen sein. Doch Frankreich wird eine grössere Herausforderung, denn die Damen der Grande Nation sind Titel-Favoritinnen. Leider ist der Frauenfussball in der Schweiz immer noch nicht dort, wo er sein sollte. Die Anerkennung der hervorragenden Leistungen wird erst langsam wahrgenommen. Wir drücken der Nati für die EM die Daumen!

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