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Exportschlager «Prostitutionsverbot» –  Erfolgsstory oder Flop?

Exportschlager «Prostitutionsverbot» – Erfolgsstory oder Flop?

Die Frauenzentrale Zürich hat im Juni mit der Kampagne «Stopp Prostitution» die Diskussion über das schwedische Prostitutionsverbot neu lanciert. Aus diesem Anlass stellte Infosperber den Beitrag «Exportschlager ‹Prostitutionsverbot›» vom 17. März 2015 noch einmal online. Und ostschweizerinen.ch macht dies ebenfalls für Sie.

«Pony Love Girls» steht auf dem Einband der Videokassette, und es geht in diesem Film nicht um Kleinmädchen-, sondern um Altherren-Fantasien der schwer verdaubaren Art. Wir befinden uns in einem der wenigen Sexshops Stockholms. Man muss ihn kennen, um ihn zu finden. Nur dezent informiert eine Schrift am Laden darüber, dass hier «Books Magazines Videos» erhältlich seien. Das Wort «Sex» fehlt vollständig. Auch einschlägige Bilder sucht man vergebens. Der ganze Laden sieht aus, als wären Produkte und Einrichtung in den frühen Achtzigern stehen geblieben. Es ist eine traurige Ecke.

Bevor Schweden im Jahr 1999 den «Sex purchase act» in Kraft setzte, standen hier allabendlich Dutzende Prostituierte. Nach dem Gesetz, das den Erwerb sexueller Dienstleistungen verbietet, können die schwedischen Gerichte die Käufer – nicht aber die Anbieterinnen – bestrafen. Bei unserem Streifzug im Sommer 2014 sehen wir bloss noch ganz vereinzelt Frauen, die – nach kurzem nervösem Gespräch durchs Autofenster – in mittelständischen Kompaktwagen verschwinden. Sonst herrscht tote Hose am Strassenstrich, in der grauen Hochhausschlucht an der Malmskillnadsgatan gleich bei der U-Bahn-Station Hötorget.

70 Prozent sind für das Verbot

Unsere Mission: Wir wollen vor Ort Licht ins Dunkel bringen und die extrem widersprüchlichen Wahrnehmungen des schwedischen Prostitutionsverbots ausleuchten. Da wäre auf der einen Seite die offizielle Lesart der schwedischen Regierung. Im Jahr 2010 hat sie einen Evaluationsbericht veröffentlicht, in dem sie das Verbot als Erfolg feiert: Die Strassenprostitution habe sich halbiert, eine Verlagerung weg von der Strasse sei nicht zu beobachten, der Menschenhandel sei substanziell zurückgegangen und die öffentliche Meinung stelle sich bei Zustimmungsraten von 70 Prozent heute klar auf die Seite des Verbots.

Auf der anderen Seite ist da die Kritik von Fachleuten und Betroffenenorganisationen. So zweifeln die beiden Forscherinnen Susanne Dodillet und Petra Östergren in ihrer Untersuchung aus dem Jahr 2012 den Regierungsbericht methodisch an. Sie fragen sich: Wie kann eine Verringerung um die Hälfte festgestellt werden, wenn keine verlässlichen Zahlen zur Ausgangssituation vorliegen? Wie kann die Regierung behaupten, das Verbot habe nicht zu einer Verlagerung in Bars und Salons geführt, wenn sie über gar keine Statistiken verfügt, international aber genau solche Verlagerungen beobachtet werden? Die Betroffenenorganisation Rose Alliance klagt vor allem über die erschwerten Arbeitsbedingungen der betroffenen Sexarbeitenden, die sich in den Grau- und Schwarzmarkt abgedrängt sehen, in dem Prävention und Schutz viel schlechter zu gewährleisten seien.

«Sex Girls Stockholm» googeln reicht

Unser Augenschein vor Ort bestätigt die Widersprüche. Während sich nur mit Geduld und scharfem Auge Anzeichen für Strassenprostitution aufspüren lassen, wird beim Blick ins Internet sofort klar: Das Angebot ist riesig. «Sex Girls Stockholm» googeln reicht, um verschiedene einschlägige Seiten zu finden. Auf stockholm.backpage.com entdecken wir tagesaktuelle Inserate aufgeschaltet: Am Tag unseres Besuchs auf der Website, dem 14. Juli 2014, zählen wir 93 unmissverständliche Angebote.

Zu dieser offensichtlichen Realität stehen die Gespräche, die wir mit Fachleuten und Menschen auf der Strasse führen, in erstaunlichem Kontrast. Es scheint einen tiefen Graben zwischen der, von der Mainstream-Gesellschaft unhinterfragten, offiziellen Lesart zu geben und der, nur unter der Hand geäusserten, Kritik an dieser.

Wir lernen: Für die Mitte der schwedischen Gesellschaft hat Prostitution – für Frauen und Männer gleichermassen – keinerlei Charme und mit Sex nichts zu tun. Wirklich gar nichts. Prostitution ist Gewalt. Immer und in jedem Fall. Wenn wir aus der Schweiz zentral die Frage stellen, wie Freiwilligkeit und Schutz der Sexarbeiterinnen zu gewährleisten sind, schreibt der Regierungsbericht klipp und klar: «Aus Gender-Equality- und Menschensrechtsperspektive ist die Unterscheidung zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Prostitution irrelevant.» Prostitution ist – aus dieser Optik – stets eine Veräusserung des eigenen Körpers und damit Gewalt an sich selbst. Der Freier, der diese Notlage ausnützt, ist dann kein Sünder im moralisch-religiösen Sinn – sondern ein Krimineller im strafrechtlichen Sinn. Entsprechend entschieden wird bereits der Begriff der «Sexarbeit» abgelehnt. Sexarbeit kann es definitionsgemäss nicht geben, weil bezahlter Sex nicht Sex, sondern Gewalt ist.

«Prostitution ist Gewalt»

In etlichen Gesprächen bestätigt sich diese Optik. Für die 30-jährige Journalistin Sigrid Petersson ist die Gleichung «Prostitution = Gewalt» ebenso unzweifelhaft wahr wie für den 70-jährigen Genderforscher Lars Jalmert oder den 47-jährigen Finanzfachmann Karl, der lieber anonym bleiben möchte. Prostitution sei kein normales Verhalten, ein Freier benutze eine unfreie Person, ein Freier sei Dreck: So oder ähnlich antworten uns auch die meisten Passantinnen und Passanten im Rahmen einer kurzen Strassenumfrage. Adora BatBrat, eine junge Frau aus der schwedischen Gothic-Szene, bringt auf den Punkt, was hier wohl die meisten denken: Wer zu einer Prostituierten geht, ist ein Verlierer. Für sogenannte «happy hookers» – Frauen, die sich selbstbestimmt oder sogar mit Freude an ihrer Arbeit prostituieren – hat es im Weltbild der meisten Schweden keinen Platz.

Wir fragen Klas Hyllander vom schwedischen männer.ch-Pendant «Men for Gender Equality», wo denn schwedische Männer schnellen Sex finden, wenn der Weg über die Prostitution offiziell versperrt ist. Er weigert sich, die Frage zu beantworten. Warum? Weil Prostitution nichts mit Sex und damit auch nichts mit dem Bedürfnis nach schnellem unverbindlichen Sex zu tun habe.

Wir lernen also eine konsequente Gleichsetzung von Sexarbeit mit Gewalt kennen, die wiederum dafür sorgt, dass schwedische Freier ganz unten auf der sozialen Leiter landen. Alle unsere Gesprächspartner sind sich einig: Freier zu sein könnte sich ein schwedischer Mann niemals zuzugeben leisten. Er wäre gesellschaftlich erledigt. Nur Kopfschütteln ernten wir, wenn wir erzählen, dass prominente Männer in Schweizer Illustrierten gern auch mal gefragt werden, ob sie schon ein Bordell von innen gesehen haben – und dies zumindest als Jugendsünde auch zugeben dürfen.

«Weder praxis- noch realitätsorientiert»

Das Bild der nationalen Einigkeit bekommt jedoch Kratzer, wenn wir mit jenen Männern ins Gespräch kommen, die in Schweden wohl nicht zu den Schönen und Erfolgreichen zählen. «Das ist doch keine Prävention. Das ist reine Propaganda», zischt etwa ein Kunde des erwähnten Sexshops, ein graumelierter Einwanderer kurz vor der Pensionierung. «Swedish guys are pussies», Angsthasen seien sie also, die Schweden, meint ein 29-jähriger Secondo mit einer Prise Galgenhumor. Für ihn ist klar: In Schweden haben heute Frauen die Macht – und setzen das Prostitutionsverbot durch, um unliebsame Konkurrenz auszuschalten. Alles frustrierte Emanzipationsverlierer? Nicht nur.

Auch die Forscherinnen Susanne Dodillet und Petra Östergren fordern von der schwedischen Regierung «eine Prostitutionspolitik, die auf Fakten basiert, nicht auf Moral oder radikalfeministischer Ideologie». Ann Jordan vom Programm Menschenhandel und Zwangsarbeit am schwedischen Zentrum für Menschenrechte kritisiert: «Der schwedische Ansatz ist weder praxis- noch realitätsorientiert, sondern ein Versuch, mittels Gesetz das Denken und Handeln der schwedischen Männer zu verändern». Angesichts der dürren Fakten, die die Regierung präsentiere, sei dieser Versuch einer gross angelegten sozialen Umerziehungsmassnahme offensichtlich gescheitert: «Man kann Menschen nicht einmal in Schweden gesetzlich zwingen, sich in ihrem privaten, einvernehmlichen Sexleben so zu verhalten, wie es die Gender-Equality-Ideologie verlangt.»

Funktioniert Schweden auch in der Schweiz?

Wir teilen nach unserem Besuch die Einschätzung, dass das schwedische Prostitutionsverbot nur ideologisch begründbar sei. Wir lernen aber auch eine Gesellschaft kennen, die im ganzen Feld der «Gender Equality» von der Vision einer idealen Gesellschaft ausgeht. Und die Aufgabe, ebendiese ideale Gesellschaft – auch gegen Widerstand – durchzusetzen, delegieren die Schwedinnen und Schweden an ihren Staat. Das steht zwar in Kontrast zu unserem Verständnis von Staat und Gesellschaft, bleibt aber demokratisch, weil der Staat «nur» den gesellschaftlichen Konsens vollstreckt.

Weniger überzeugt sind wir bezüglich der (Un-)Wirksamkeit des Prostitutionsverbots. So rigide uns die Menschen aus der Mitte der Gesellschaft ihrer Unterstützung des Verbots versichern, müssen wir doch annehmen: die normative Kraft des Faktischen wirkt. Weil es (rechtlich) verboten ist, muss es (moralisch) verwerflich sein, lautet die Losung. Das ist zwar ein Zirkelschluss. In einer staatsgläubigen Gesellschaft wie der schwedischen kann das aber ganz reale Folgen haben. Offen müssen wir lassen, ob die Folge tatsächlich eine geringere Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen oder nur das umso eifrigere Verschleiern dieses Tuns ist.

Etwas Sorge macht uns in diesem Zusammenhang jedoch der Eifer, mit dem die schwedische Regierung ihr Erfolgsmodell zu exportieren sucht. Dank seiner Lobbying-Bemühungen hat der Europarat im April 2014 allen europäischen Ländern empfohlen, das schwedische Modell zu übernehmen. Auch die Schweiz ist im Europarat vertreten und wird sich wohl noch mit dieser Debatte konfrontieren müssen. Klar ist: Das schwedische Gesetz und das schwedische Modell sind nicht das Gleiche. Letzteres baut auf einem gesellschaftlichen Konsens, der ausserhalb Skandinaviens so nicht existiert. Deshalb hätte das schwedische Gesetz ausserhalb Schwedens kaum die gleiche Wirkung.

Dieser Beitrag ist erstmals in der Männerzeitung Ernst im Jahr 2014 erschienen!

Bild: SRF

3 thoughts on “Exportschlager «Prostitutionsverbot» – Erfolgsstory oder Flop?

  1. Avatar
    Thomas Heiss

    Ich denke die Schweiz hat für alles genug Gesetze. Menschehandel, Schwarzarbeit, Freihaitsberaubung,…
    Mit den neuen Gesetzen will man wenig Arbeit schnelle Bussen generieren. Aber das zerstört nicht krimninelle Struckturen von Clans, Mafia oder Rockern. Und das zu erreichen ist viel harte Arbeit. Statt Mittel das Problem aus der Sichtbarkeit zu verbannen wie die neuen Gesetze.
    Ich sehe hier auch den Vergleich zu anderen Ländern. die Macht der “Fünf Familien” einzuschränken hat 50 Jahre gedauert und ist auch heute nicht wirklich erledigt. Und auch die Deutschen Nachbarn kämpfen seit Jahrzehnen mit minimalen Erfolgen gegen Abu Chaker, Remo und Co. Hinter dem grossen Geld stecken schon lange keine kleinen Zuhälter mehr.


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