
SGB Präsidium: Es ist Zeit für Barbara Gysi – eine fähige Frau, Vollblut-Gewerkschafterin und grosse Politikerin
Nichts spricht dagegen, dass nach 20 Jahren Männerherrschaft nun eine fähige Frau das Präsidium des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes übernehmen sollte. Und die Ostschweizerin Barbara Gysi wäre geradezu prädestiniert für dieses Amt. Erstaunlicherweise stellt sich nun besonders eine Frau gegen diese Kandidatur: (Fast)Bundesrätin und “Frauen-Ikone” Christiane Brunner.
Nach Anhörung Ende September stand Barbara Gysi nach ihrer starken Präsentation als Kandidatin für das Präsidium des SGB fest. Es sei höchste Zeit, eine Frau an der Spitze zu haben, hiess es damals. Ihr Kontrahent, Regierungsrat Pierre-Yves Maillard aus dem Waadtland, schien das Nachsehen zu haben. Dabei vergass man(n)/frau aber offenbar, dass eine Frauenkandidatur für ein so hohes Amt nie einfach so goutiert werden kann, denn meistens findet man(n) heraus, dass mindestens EIN Mann halt einfach etwas GEEIGNETER ist. Die Frau wird auf die „Geschlechterquote“ reduziert. Und es spielt keinerlei Rolle, was diese während zahlreicher Jahre geleistet hat.
„Gewerkschaftliches Engagement ist für mich seit vielen Jahren eine Selbstverständlichkeit“, schreibt Barbara Gysi in ihrer Begründung für die Kandidatur. Und dies stimmt, denn sie trat vor bald dreissig Jahren der VPOD bei, 1995 auch der Unia und engagiert sich seit Jahren für den St. Galler Gewerkschaftsbund, den sie seit 2012 auch präsidiert. Gysi ist aber auch Präsidentin des Personalverbandes des Bundes PVB, der übrigens ihre Kandidatur unterstützt. Mit grossem Engagement tritt die ausgebildete Sozialpädagogin unter anderem für Bildung, ArbeitnehmerInnenrechte, Gesamtarbeitsverträge, sichere Renten, gegen unsoziale Strukturen und für Gleichstellungsthemen ein und ist seit zahlreichen Jahren Mitglied des Vereins ostschweizerinnen.ch.
„Die Probleme der Frauen in der Arbeitswelt sind zahlreich: Sie arbeiten öfter im Niedriglohnbereich, arbeiten häufiger Teilzeit und in Berufen mit hohem Frauenanteil, wo sie schlechter bezahlt werden“, sagt die St. Galler Nationalrätin und fügt an, dass ein Grossteil der unbezahlten Familien-, Betreuungs-, Haushalts- und Pflegearbeit ebenfalls von Frauen geleistet wird. Sie bezahlen dies mit niedrigeren AHV- und Pensionskassenrenten, wenn sie denn überhaupt eine erhalten. Es kann die Gesellschaft nicht kalt lassen, dass Altersarmut grösstenteils weiblich ist – und die Gewerkschaften müssten sich eigentlich lautstark dagegen wehren.
Nur die Hälfte der Arbeitsverhältnisse sind durch einen Gesamtarbeitsvertrag GAV geschützt. Den Ausbau für alle sieht Gysi als zentrale Forderung. Und GAVs sichern ja neben den sicheren Löhnen auch ein Mitspracherecht für die Belegschaft. „In einem ersten Schritt müssen GAVs für öffentliche Unternehmungen Pflicht sein, auch für Aufträge durch die öffentliche Hand“, sagt Barbara Gysi. Und gerade im Care-Bereich, im Detailhandel – kurz in typischen Frauenberufen – gibt es Handlungsbedarf. Als Präsidentin einer Stiftung im Behindertenbereich hat Barbara Gysi diesbezüglich schon erste Schritte erreicht, daran will sie als Gewerkschaftspräsidentin anknüpfen.
Wer fürchtet sich nicht davor, dass seine Rente nicht sicher ist? Dies ist ein weiteres Schwerpunktthema der kämpferischen Politikerin. „Die Gewerkschaften müssen hier aktiver sein“, findet sie. Arbeitnehmende, die harte körperliche Arbeit leisten, sollten ohne Lohneinbusse früher in Rente gehen können. Es sei nicht einsichtig, dass das Heben von schwerem Gerät und von Ziegelsteinen und das Mobilisieren von PatientInnen nicht gleich behandelt werde, spricht sie neben der Tatsache an, dass gerade die Frauen, die eben häufiger Teilzeit arbeiten, unzureichend für die Rente abgesichert sind. Und all die unbezahlte Arbeit und die tieferen Löhne der Frauen tragen das Ihrige zur schlechten Absicherung bei.
Mit der Digitalisierung verändert sich die Arbeitswelt markant. Sie bringt besondere Herausforderungen für die Arbeitnehmenden und die Gewerkschaften, denn gewisse Arbeitsstellen fallen weg und andere werden dafür geschaffen. Aufgaben verändern sich, neue Arbeitsformen kommen dazu. Gysi möchte die Fragen, die sich zur Digitalisierung stellen, aktiv angehen und die Sorgen und Nöte aufnehmen. „Lohnabhängige müssen auch zukünftig anständige Jobs und sichere Anstellungsbedingungen haben“, sagt sie, die sich bewusst ist, in welch grosse Fussstapfen sie als Gewerkschaftspräsidentin treten würde.
Barbara Gysi weiss ebenfalls, dass ihr keine sanfte Brise entgegenwehen wird, sollte sie gewählt werden. „Was es heisst, wenn eine rechtsbürgerlich dominierte Mehrheit das Sagen hat, erfahre ich in der laufenden Legislatur der nationalen Politik fast Tag für Tag“, sagt sie. „Never surrender“, lautet ihr Motto. Nicht aufzugeben, einfach weiter zu kämpfen und dran zu bleiben hat sich während all der Jahre in der kantonalen und nationalen Politik für Barbara Gysi bewährt.
125 Supporter-Stimmen entfallen voraussichtlich auf Pierre-Yves Maillard und nur 25 auf Gysi, wie die Gewerkschaftszeitung „Work“ kürzlich ausgerechnet hat. Die Delegierten sind aber nicht an irgendwelche Vorgaben gebunden und sind theoretisch frei in ihrer Wahl, denn die Wahlen werden erst noch geheim durchgeführt. Dass Barbara Gysi ihre Kandidatur von Anfang an als „Frauenkandidatur“ bezeichnet hat, dass sie betont, besonders von Gewerkschafterinnen für eine Kandidatur ermuntert worden zu sein, wo der Frauenanteil in Leitungsgremien des Gewerkschaftsbundes knapp ein Drittel beträgt, spricht in den Augen einiger GewerkschafterInnen nicht für sie – allen voran spricht es offensichtlich gegen die Überzeugung der hoch gelobten Frauen-Ikone und einstigen obersten Gewerkschafterin Christiane Brunner. Welche Schande, wenn eine solche Frau nicht für eine fähige Kandidatin einstehen kann!
Bild: Barbara Gysi