• Home
  • /Arbeit
  • /50 Jahre Frauenstimm- und -wahlrecht 2021 – ein (Jahres-)Rückblick
50 Jahre Frauenstimm- und -wahlrecht 2021 – ein (Jahres-)Rückblick

50 Jahre Frauenstimm- und -wahlrecht 2021 – ein (Jahres-)Rückblick

Bereits sind wir ins Jahr 2022 gestartet und haben damit ein Jahr verabschiedet, das bedeutsame Aktionen für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Gesellschaft beinhaltete.

 

Wir feierten 50 Jahre Frauenstimm- und -wahlrecht in der Schweiz. Dafür wurden Ausstellungen, Podiumsdiskussionen, Filme, Bücher, Wettbewerbe, Podcast und weitere Aktionen realisiert. Mit dem Manifest CH2021, das im Februar dem Bundesrat zugestellt worden war, wollten Aktivistinnen erst einmal «Dampf machen». Man forderte «Einsicht und eine öffentliche Debatte». Man zeigte das begangene (und teilweise fortgesetzte) Unrecht gegenüber den Frauen in der Schweiz auf und forderte zielführende Massnahmen (siehe Manifest in der Box).

«Ohne die Emanzipation der Frauen ist der Begriff der Demokratie nur Heuchelei und Lüge.»
 Emilie Gourd (1879-1946)

 

Mit «Robes politiques – eine Ausstellung zu Frauen, Macht und Mode» beteiligte sich das Textilmuseum St. Gallen am Jubiläum (noch zu sehen bis 06. Februar 2022). Die Ausstellung, die sich ganz um Kostüme und Accessoires dreht, legt den Fokus auf die öffentliche Wahrnehmung bedeutender Frauen und deren Erscheinungsbild auf der politischen Bühne. Fünfzig textile Objekte, ergänzt mit ausgewählten Bildern, Fotografen und Videos, zeigen das Spannungsfeld zwischen Weiblichkeit und Machtposition, Skandal und Idealisierung, Volksnähe und Repräsentation. Sie veranschaulichen auch den strategischen Einsatz von Kleidung und Accessoires im Laufe der Jahrhunderte, in unterschiedlichen Ländern und Staatsformen. Vertreten sind in der Ausstellung politische Grössen wie die Kaiserin Sisi, die First Lady Jacky Kennedy, die britische Premierministerin Margaret Thatcher und Schweizer Politikerinnen wie die Ex-Bundesrätinnen Elisabeth Kopp und Doris Leuthard und Bundesrätin Karin Keller-Sutter.

Sowohl die Ausstellung «GESCHLECHT. Jetzt entdecken» im Stapferhaus, Bahnhofstrasse 49, Lenzburg, als auch die kostenlosen Themenführungen «Frauen unter der Bundeshauskuppel» in Bern, laufen noch bis 22. Mai 2022 weiter. Und die Ausstellung «Klug und Kühn – Frauen schreiben Geschichte» ist noch bis 27. März 2022 im Stadtmuseum Rapperswil-Jona zu sehen.

Die Schweiz würde wohl anders aussehen, wenn nur Frauen, inter, nicht binäre und trans (FINT) Personen abstimmen dürften. Mit diesem Gedanken führten zum  50igsten Jubiläum «Les Créatives» eine Online-Befragung durch. Mit dieser Frage hat sich noch niemand vorher befasst. Wir kennen aber die Situation, wie es war, als nur Männer das Sagen hatten – und das ist noch gar nicht so lange her. Laut der Professorin Nathalie Giger, Spezialistin für vergleichendes politisches Verhalten an der Universität Genf, wählen Frauen anders als Männer und sind mehr für soziale und ökologische Themen sensibilisiert. Mehr als 1000 Frauen und Geschlechterminderheiten nahmen an der Abstimmung teil und mehr als 300 Personen an den beiden feministischen Landsgemeinden, die parallel zur Online-Abstimmung in Genf und Appenzell durchgeführt wurden. Es wurden Fragen zu acht feministischen Themen diskutiert. Und so sahen die Abstimmungs-Resultate aus:

Abstimmungsthema 1: Finanzierung des Kampfes gegen geschlechtsspezifische Gewalt
Ergebnis: Angenommen mit 96% Ja-Stimmen bei 4% Nein-Stimmen.

Abstimmungsthema 2: Reform des Sexualstrafrechts
Ergebnis: Angenommen mit 98% Ja-Stimmen bei 2% Nein-Stimmen.

Abstimmungsthema 3: Schutz von Frauen, inter, nicht-binären und trans Menschen auf der Flucht
Ergebnis: Angenommen mit 98% Ja-Stimmen bei 2% Nein-Stimmen.

Abstimmungsthema 4: Für eine diskriminierungsfreie Bildung
Ergebnis: Angenommen mit 96% Ja-Stimmen bei 3% Nein-Stimmen.

Abstimmungsthema 5: Ökologische Investition
Ergebnis: Angenommen mit 97% Ja-Stimmen bei 2% Nein-Stimmen.

Abstimmungsthema 6: Verkürzung der Arbeitszeit
Ergebnis: Angenommen mit 93% Ja-Stimmen bei 5% Nein-Stimmen.

Abstimmungsthema 7: Verfassungsrechtlichen Schutz
Ergebnis: Angenommen mit 85% Ja-Stimmen bei 5% Nein-Stimmen.

Abstimmungsthema 8: Schutz vor Diskriminierung
Ergebnis: Mit 97% Ja-Stimmen bei 2% Nein-Stimmen angenommen,

Mit einer überwältigenden Mehrheit für die Vorschläge der feministischen Task Force, aber auch mit der hohen Wahlbeteiligung, zeigte VOTE 71/21 damit nicht nur das Interesse an den angesprochenen Themen, sondern auch eine Dringlichkeit, sie im Bereich der Realpolitik zu behandeln.

Höhepunkt der Jubiläumsfeierlichkeiten war der «Frauenstreik 2021». Gegen 100’000 Frauen und solidarische Männer gingen am 14. Juni 2021 auf die Strasse. Die Teilnehmenden an mehr als 40 von Gewerkschaften und regionalen Kollektiven organisierten Aktionen und Demonstrationen in der ganzen Schweiz, sandten eine klare Botschaft:

Es braucht jetzt endlich echte Fortschritte bei der Gleichstellung. Und jeder Rückschritt ist inakzeptabel, wie etwa mit der vorgeschlagenen Kürzung bei der AHV 21, die derzeit im Parlament diskutiert wird. Die Mobilisierung zeigt, dass die Gleichstellungsbewegung stark bleibt und ihre Ambitionen aufrechterhält: Respekt! Bessere Löhne. bessere Renten!

Die grosse Teilnahme und das auch internationale Medieninteresse zeigen, dass das Gleichstellungsbestreben schweizweit unterstützt wird. Die Handlungen des Parlamentes beweisen indessen, dass der Kampf weitergehen muss. Sind doch bereits Ende Jahr die expliziten Forderungen nach einem Verzicht auf einen weiteren AHV-Abbau und nach dem Angehen des Problems der Frauenrenten nicht im Sinne der betroffenen Frauen abgehakt worden.

Bild: 14. Juni 2021

Mit der Verweigerung des Frauenstimmrechts bis 1971 wurden den Schweizer Frauen* ihre Menschenrechte vorenthalten. Sie wurden vorsätzlich daran gehindert, ihre demokratischen Rechte auszuüben und damit ihre Rechtsordnung und ihre Gesellschaft mitzugestalten. Das jetzige Jubiläum könnte die Gelegenheit zu einer Anerkennung dieses Unrechts sein. Zur Diskussion steht eine Entschuldigung des Bundesrats.

Den Vorstandsfrauen von CH2021 geht es jedoch weniger um eine Entschuldigung als vielmehr um etwas Grundlegenderes und Zukünftiges.

Wir fordern den Bundesrat auf, in der nächsten Session einen Tag des Erkennens und Anerkennens des Unrechts und der Konsequenzen der Verweigerung des Frauenstimmrechts anzusetzen. Ziel ist es, aus den identifizierten Defiziten einen zeitlich verbindlichen Aktionsplan zur Verwirklichung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung zu verfassen. Das gewonnene Wissen und Verständnis sollen dazu führen, dass sich die vereinigte Bundesversammlung, die Regierung, aber auch die Öffentlichkeit, besonders die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen, ihrer kollektiven Verantwortung für die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse bewusst werden, um Diskriminierung zu überwinden – in jeglicher Form.

Manifest CH2021

  1. Es braucht Einsicht und eine öffentliche Debatte

Erstens geht es uns um die Einsicht, zu erkennen und anzuerkennen, dass die Verweigerung des Stimm- und Wahlrechts für Schweizer Frauen Unrecht war. Seit dem 19. Jahrhundert forderten Frauen* und Frauengruppen, sowie einige wenige Männer*, immer wieder das Stimmrecht für Frauen* ein. Bis endlich 1957 der Bundesrat in seiner Botschaft zur Einführung des Frauenstimmrechts [1] die weitere Verweigerung als Verletzung des «Gebots der Gerechtigkeit» und «der Demokratie» und somit als Unrecht bezeichnete. Ab diesem Zeitpunkt konnten alle wissen, dass die Frauen* mit der Verweigerung ihres Stimmrechts in ihrer Menschenwürde verletzt waren und ihnen die Anerkennung als gleichwertige Menschen vorenthalten wurde. Entsprechend konnten sie sich nicht als Gleichberechtigte an der Gestaltung der Gesellschaft und der Demokratie beteiligen. Kurz: Das Recht, Rechte zu haben und einzufordern, wurde ihnen abgesprochen.

Zweitens geht es uns um eine öffentliche Debatte und ein gemeinsames Nachdenken darüber, wie es zu diesem Unrecht kommen konnte und weiterhin kommt, und welche Folgen und Wirkungen daraus entstanden sind und weiterhin entstehen. Deshalb wollen wir – über die Frage des Frauenstimmrechts hinaus – auf die Notwendigkeit der Überwindung aller Formen von Diskriminierung verweisen.

  1. Blick zurück: Wie konnte es zu diesem Unrecht kommen? Mit welchen Folgen?
  • Von Beginn an wurde darüber gestritten, ob Frauen* mitgemeint sind, wenn es in Artikel 4 der Bundesverfassung von 1874 hiess: »Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich». Und immer wieder wurde darauf bestanden, dass die Schweiz ein «Männerstaat» sei, und daher «nur die Schweizerbürger männlichen Geschlechts gemeint» seien.[2] Frauen* waren Männern* nicht ebenbürtig, konnten deshalb auch nicht gleichberechtigt sein, das heisst die gleichen Rechte wie die Männer* beanspruchen. Dadurch waren sie von der politischen Teilhabe ausgeschlossen, konnten lange keinen Einfluss auf die Rechtsordnung und die Gestaltung der Gesellschaft nehmen. Dies ist nicht nur eine Verletzung der Rechtsgleichheit als wesentliches Element der Demokratie, sondern auch ihrer Menschenwürde.
  • In der bürgerlichen Gesellschaft wurden Männern* und Frauen* unterschiedliche Eigenschaften zugeschrieben: Männer* wurden als rational, aktiv, bedeutsam, wertvoll und überlegen angesehen, Frauen* hingegen als emotional, passiv, unbedeutsam und minderwertig. Damit verbunden wurden ihnen unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche zugeschrieben: Beruf und Politik versus Familie, öffentlich versus privat. Die Folge dieser Einteilung noch heute ist nicht nur, dass Frauen* immer noch im Vergleich zu Männern* als minderwertig angesehen werden, sondern auch, dass ihre Tätigkeiten im famiIiären Bereich nicht als Arbeit bezeichnet werden und unbezahlt sind. Sie finden auch keinerlei Niederschlag im Bruttosozialprodukt (der Berechnung des Wertes der Gesamtleistung unserer Volkswirtschaft). Ihre Arbeit im beruflichen Bereich wird ebenfalls tiefer bewertet und schlechter entlöhnt. Die ständige Berufung auf diese Minderwertigkeit führte dazu, dass ihnen schliesslich auch das Recht abgesprochen wurde, politische Rechte zu fordern.
  • Ein Teil der Männer* war und ist auch heute noch nicht dazu bereit, ihre Vorrechte, Vorteile und Bequemlichkeiten aufzugeben, die mit dieser Einteilung und Wertung der Geschlechter und ihrer Rollen verbunden sind. Den Frauen* und ihren Möglichkeiten, sich gegen ihre Benachteiligung zu wehren, waren und sind immer noch enge Grenzen gesetzt – politisch (Männergremien), ökonomisch (u. a. Lohnungleichheit), zeitlich (Ressourcen) und sozial (Care-Arbeit). Dies macht die Überwindung der Defizite in der Gleichstellung so zäh.
  • Eine der tiefgreifendsten Konsequenzen, die die Frauen* durch das ihnen verweigerte Stimmrecht erfahren haben, mögen wohl darin bestehen, dass viele von ihnen den Glauben an die eigene Minderwertigkeit verinnerlicht haben. Die ständige Aufforderung, erst ‘wie Männer’ werden zu müssen, um Gerechtigkeit erfahren zu dürfen, ist ein wiederholter und immerwährender Angriff auf ihre Würde.
  • Bei alldem handelt es sich nicht um Vergangenes; Frauen* erleben Diskriminierung, Ungerechtigkeit und Entwürdigung bis hin zu häuslicher und öffentlicher Gewalt, nach wie vor. Mit der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 sind – trotz aller Errungenschaften – die Benachteiligungen nicht überwunden. Frauen* werden immer noch so behandelt, als hätten sie die Gleichstellung nicht verdient.
  1. Blick nach vorn: Call for Action! «Dampf machen»

Wir fordern den Bundesrat auf, in der nächsten Session einen Tag des Erkennens und Anerkennens des Unrechts und der Konsequenzen der Verweigerung des Frauenstimmrechts anzusetzen. Ziel ist es, aus den identifizierten Defiziten einen zeitlich verbindlichen Aktionsplan zur Verwirklichung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung zu verfassen. Das gewonnene Wissen und Verständnis sollen dazu führen, dass sich die vereinigte Bundesversammlung, die Regierung, aber auch die Öffentlichkeit, besonders die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen, ihrer kollektiven Verantwortung für die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse bewusst werden, um Diskriminierung zu überwinden – in jeglicher Form.

Zürich, 7. Februar 2021

Andrea Maihofer

Cécile Speitel

Elke Zappe

Elli von Planta

Mary Mayenfisch

Maya Dougoud

Marialuisa Parodi

Zita Küng

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*