Aladin und die Wunderlampe aus patriarchatskritischer Sicht
Moderne Gesellschaften sind von quasi magischen Abläufen durchdrungen: Maschinen und Algorithmen übernehmen viele Bereiche des täglichen Lebens. Wir sind Technokraten und Macher geworden: „machen, Magie, Maschine“ haben die gleiche Wortwurzel. Doch trotz ihrer äusseren Macht fühlen sich viele Menschen innerlich zunehmend ohnmächtig. Das Theaterstück von und mit Simon Weiland wird in der DenkBar St.Gallen erstmals vor Publikum aufgeführt.
Hier setzt die Performance an: ein Magier will an eine Wunderlampe in der Erde gelangen. Doch er stösst an seine Grenzen. Nur einem sogenannten Taugenichts wie Aladin ist es möglich, die Wunderlampe zu bergen: Aladin hat sich die kindliche Offenheit bewahrt, sich wundern zu können und sich bezaubern zu lassen. Aladin begegnet in der Erde nicht der Magie des Machens, sondern dem Zauber des Berührt- und Ergriffenwerdens. Er lernt die Liebe kennen und ihm geht ein Licht auf. Die Initiation in der Höhle, bzw. im Venusberg, war in prähistorischer Zeit ein auf der ganzen Welt verbreiteter Ritus, der in den letzten Jahrtausenden von patriarchal-hierarchischen Strukturen überlagert wurde. Doch der Zauber dieser Liebe ist auch heute noch da. Der Geist der Wunderlampe hat der Welt von heute einiges zu sagen.
Vor mehr als 10 000 Jahren…
Es gab keinen Herrgott, dafür die Grosse Göttin. Es gab keine Herrschaft, dafür ein Leben mit den Zyklen der Natur. Es gab keine Kriege, dafür Riten, die das Leben feiern. Wunschdenken? Verklärung der Vergangenheit? Archäologische Funde aus der ganzen Welt sprechen eine klare Sprache. Jahrtausende lang lebten die Menschen im Einklang mit Kosmos und Natur. Spuren dieser prähistorischen Zeit reichen bis in unsere Gegenwart hinein: Märchen, Sagen, Bräuche und vor allem die Sprache zeugen davon, dass wir noch Wurzeln in diese Welt haben.
Der Stoff
Das ursprüngliche Märchen findet sich in der Sammlung „Märchen aus 1001 Nacht“. Handlung: ein mächtiger Magier will an eine Wunderlampe gelangen, die sich in der Erde befindet. Trotz all seiner Macht ist ihm das unmöglich. Er ist auf die Hilfe eines Taugenichts angewiesen: Aladin. Deshalb gibt sich der Magier als sein Onkel aus. Aladin holt die Lampe aus einer Höhle. Als er merkt, dass der Magier ihn betrügen will, muss er mit der Lampe in die Höhle zurück. Dort entdeckt er, dass in der Lampe ein Geist ist, der Wünsche erfüllt. So wird er aus der Höhle befreit und heiratet schliesslich die Tochter des Sultans. Dem Magier gelingt es dann zwar, die Wunderlampe zu stehlen, doch Aladin und seine Frau schaffen es, die Lampe wieder zurückzubringen.
Warum dieses Märchen?
Das Märchen stellt eine interessante Frage: Warum ist ein Machtmensch wie der Magier auf einen sogenannten Taugenichts wie Aladin angewiesen? Ist das, was als Macht erscheint, in Wirklichkeit gar nicht so mächtig, vielleicht sogar ohnmächtig? Hat das, was in der Welt von heute als nutzlos gilt, womöglich eine grosse Kraft? Für heutige Gesellschaften sind Herrschafts- und Machtstrukturen so normal, dass wir uns kaum etwas anderes vorstellen können. In geschichtlicher Zeit hat es fast immer Herrschaft gegeben. Doch archäologische Funde aus uralter Zeit davor lassen darauf schliessen, dass menschliche Gesellschaften nicht immer patriarchal und hierarchisch waren. Sie müssen es daher auch nicht bleiben. So greift die Performance einige prähistorische Spuren auf, die noch heute im Alltag lebendig sind: Osterbräuche, Laternenumzüge und vor allem die Sprache.
Die Wurzeln der Sprache
Indoeuropäische Sprachen haben den gleichen Ursprung: Sprachwissenschaftler schliessen durch Vergleiche auf gemeinsam zugrunde liegende Wortwurzeln, die mindestens 5000 Jahre alt sind. Und da kommen erstaunliche Verwandtschaften zutage: aus der Wurzel *kel- enstehen die Wörter „hell“ „helfen“ „Hülle“ „hohl“, „Höhle“, Frau „Holle“ und „hold“. Für die Performance ist das insofern interessant, weil man sich wundert, wodurch Aladin in der Höhle eigentlich erhellt wird. Was ist eine Wunderlampe? Schaut man sich die englische Sprache an, kann man die spirituellen Dimensionen vielleicht erahnen: „hole“, „whole“, „holy“. In der Höhle müssen die Menschen von früher tiefe Erfahrungen gemacht haben.
Das Geheimnis des Venusbergs
Viele kennen die Oper „Tannhäuser“, in der ein Sänger einige Zeit in einem Venusberg bei einer heidnischen Göttin der Erotik verbringt. Diesem Motiv liegt eine Sage zugrunde, die in ganz Europa verbreitet ist, denn Venusberge gibt es viele. Das lässt auf uralte Riten schliessen, die in der Sage noch weiter leben : „Es war ein Ort der Liebe der roten Sommerfrau (…) und ihrem Liebhaber.“ (Derungs, Kurt und Schlatter, Christina: Quellen, Kulte, Zauberberge). “Die Brüder Grimm haben auf eine Verbindung zur germanischen Totengöttin Holda hingewiesen, deren Name zuweilen in der Sage, anstatt desjenigen der Venus erscheint.” Holda ist natürlich Frau Holle.
5000 Jahre Patriarchat,
Sowohl die herkömmliche Archäologie, als auch die sprach- und literaturwissenschaftliche Forschung, kann uns mit einer Zeit in Verbindung bringen, in der die Menschen noch nicht hierarchisch, kriegerisch und ausbeuterisch gelebt haben. Sich dieser Wurzeln bewusst zu werden, heisst: so wie wir seit 5000 Jahren leben, muss es nicht zwingend weiter gehen. Eine andere Zukunft ist möglich.
“Die Wunderlampe” erhielt eine Projektförderung durch das Kulturamt Konstanz.
DenkBar St.Gallen, Mittwoch, 19. Mai 2021, 18-20 Uhr. Türöffnung und Apéro im Gärtli ab 17 Uhr. Eintritt CHF 20.-., Platzzahl beschränkt, Anmeldung unter kultur@denkbar-sg.ch.