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Appenzell Innerhoden – ein Taschentuch-Ländli

Appenzell Innerhoden – ein Taschentuch-Ländli

Heute, wie praktisch, einmal gebraucht, zerknüllt und massenhaft weggeworfen. Papier-Taschentücher machen es möglich. Doch bis vor 40 Jahren sah die Geschichte noch ganz anders aus. Das Stofftaschentuch war damals ein unentbehrlicher Zubehör, ein wichtiger Gebrauchsbegleiter.

Das kleine quadratische Stück Stoff wurde immer wieder gewaschen, sorgfältig gebügelt und jahrelang verwendet. Eine sehenswerte Ausstellung im Museum Appenzell erzählt deren Geschichte und zeigt eine Fülle von Taschentüchern in Weiss, mit und ohne Spitze, mit und ohne Stickerei, bunt kariert oder gestreift. Zu sehen bis zum 3. November 2019.

Das Taschentuch hat eine lange Geschichte. Schon in der römischen Antike gab es Schweiss- und Mundtücher. Viel später im Mittelalter wurden diese Tücher von der christlichen Kirche für liturgische Zwecke übernommen.

Vom luxuriösen Accessoire…

«Im 15. Jahrhundert dienten die Fazzoletti bei den Damen der höfischen Gesellschaft in Italien als Ziertücher und modisches Beiwerk. Sie wurden elegant in der Hand gehalten. Katharina von Medici (1519-1589) Gattin Heinrichs II. von Frankreich führte am französischen Hof das Toilettentuch – le mouchoir –  ein, das höchstens zum Abtupfen von Tränen diente. Das Tuch wurde mit aufwendigen Näh- und Klöppelspitzen verziert, so dass es zu einem luxuriösen Schau- und Modeartikel wurde.

Auch im spanischen und englischen Hochadel hielt es als Luxusgegenstand Einzug. Heinrich VIII  (1401-1547) von England besass holländische Taschentücher mit Fransen aus roter und weisser Seide und Taschentücher mit flandrischen Klöppelspitzen verziert. Seine Gemahlin Anne Boleyn hatte zurzeit ihrer Hochzeit vier Dutzende ‘Handkerchers’. Auch Heinrichs Tochter Elizabeth I (1533- 1603) liebte das Luxustuch und machte damit auf ihre schönen Hände aufmerksam.»

… zum Gebrauchsgegenstand und wieder zum Accsessoire

Mit dem Aufkommen des Tabakschnupfens – zuerst beim Adel gegen Ende des 17. Jahrhunderts, danach in bürgerlichen Kreisen – verlor das Taschentuch seinen luxurösen Charakter. Es wurde zum täglichen Gebrauchsgegenstand und zum vielseitig eingesetzten Nutz- und Schnupftuch. Es wurde zum Naseputzen verwendet und nicht mehr repräsentativ in der Hand gehalten, sondern verschwand in der Tasche, beziehungsweise in der Hosentasche.

In der Biedermeierzeit waren weisse Taschentücher für Frauen sehr beliebt. Die mit Handstickereien reich verzierten Tücher wurden als modisches Accessoire erneut in den Händen gehalten. in der Spätbiedermeierzeit trugen auch Herren weisse Tücher, als Einstecktuch in der Brusttasche. in den 1870er und 1880er Jahren bewahrten Damen das parfümierte Tuch im Dekolleté oder im Ärmel auf. Ab den 1910er Jahren verschwand das Taschentuch endgültig an seinen Platz in der Tasche.

Die Appenzeller Handstickerei erlangte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Weltberühmtheit. Die Innerrhoder Stickerinnen zeigten grosse Kunstfertigkeit in der Ausführung von allerfeinsten Platt- Hohl- und Spitzenstichen. Kragen, Manschetten oder Kleiderbesätze mit aufwändiger Weissstickerei eroberten die Pariser Kaufhäuser und wurden auch nach England und Amerika exportiert. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges brach das Broderiegewerbe zusammen.

im 20. Jahrhundert gab es im Kanton kleine und grössere Ferggereien, die eine grosse Anzahl Heimarbeiterinnen beschäftigte. Ferggerinnen betrieben erfolgreich ihr Geschäft und belieferten weltweit Läden, Hotels oder Privatkunden mit Taschentüchern, Zierdecken oder Sachets. Um Zollgebühren zu vermeiden, wurden die handbestickten Taschentücher häufig in Briefumschlägen versandt.

Die Innerrhoder Taschentuchfabrikanten (Huber-Lehner AG, Albin Breitenmoser, Dörig-Kreier AG) liessen die Tüechli durch Stickerinnen in Heimarbeit von Hand säumen. Das Handroulieren entwickelte sich rasch zu einem wichtigen Ersatz für die kriselnde Handstickerei und gab vielen Frauen für Jahrzehnte Arbeit und Verdienst.

Die Nachfrage nach handgesäumten Taschentüchern war gross. Huber-Lehner beschäftigte in Innerrhoden mehrere hundert Rouliererinnen und wegen steigender Aufträge schweizweit zusätzlich etwa 400 Heimarbeiterinnen. In den 1970er Jahren gingen pro Monat ausserdem acht- bis zehntausend Taschentücher per Flugzeug zum Roulieren nach Mallorca. Handroulierte Taschentücher waren vor allem auf den italienischen Markt gefragt. In Deutschland bevorzugte man maschinengesäumte Taschentücher.

Und bis heute beliebt

Immer noch werden Taschentücher –  aber in kleineren Mengen –  in Appenzell Innerrhoden hergestellt. Und, eine kleine aktuelle Umfrage ergab, dass man(n) immer noch gerne Stofftaschentücher (im Appenzellischen Fetzen) bevorzugt. Auch elegante Frauen benutzen bei verschiedenen Gelegenheiten gerne ein reizendes Stickereien- oder Spitzentaschentuch.

Bild: Appenzeller Museum

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