Appenzeller Stickerin, die Weltgeschichte schrieb
Im Hof Weissbad hat Margrit Schriber kürzlich ihr neustes Werk vorgestellt. Sie ging darin dem Leben von Maria Antonia Räss nach, die als Stickerin Weltruf erlangte.
Zum Schreiben ist Margrit Schriber erst spät gekommen. 1976 schrieb die passionierte Autorin ihr erstes Buch. Vorher war sie als Bankangestellte, Werbegrafikerin und Mannequin angestellt. Zu schreiben hat sie immer wieder verschoben und glaubte wohl selbst nicht immer daran, dass sie eines Tages auch wirklich macht. Zum Glück, denn Margrit Schriber befasst sich besonders mit Frauengeschichten.
«Die Stickerin» ist die Geschichte von Maria Antonia Räss, einer Schaustickerin aus Eggerstanden. Sie war gerade 16 Jahre alt, als sie ihre Kunst dem Publikum vorführte – und zwar in den grössten Metropolen der Welt. Mit 27 überquerte sie den Atlantik, um in Amerika ihrem Traum nachzugehen. «Mit nichts im Gepäck als einer Sticknadel aus englischen Stahl, einem Ballen französischem Leinen und ihrer Appenzeller Tracht.
Wer so viel Talent mit sich bringt, wie Maria Antonia Räss, der wird mit Sicherheit einmal entdeckt. Und so war es. Ihr Traum wurde wahr, ihre Stickereien verkauften sich an den besten Adressen und die Appenzellerin wurde weltberühmt. Eleonore Roosevelt, die Ehefrau des 32. Präsidenten, kaufte ihre Kunst, genauso wie Coco Chanel, oder Walt Disney.
Wie kam nun aber Schriftstellerin Margrit Schriber zu ihrem Stoff? Sie hat mal mit 15 vom sagenhaften Aufstieg eines einfachen Kindes aus dem Appenzellischen gehört, das zur Grande Dame avancierte. Damals übte sie stepptanzen mit ihrer Freundin, einer Nichte von Maria Antonia Räss. «Wir wollten mindestens ebenso berühmt werden, wie die Tante der Freundin, das war unser Traum», erzählte sie anlässlich der Buchvernissage in Zofingen scherzend.
Viel wusste sie indessen nicht, als sie von Maria Antonia Räss erfuhr. Ihr Wissen um diese habe darum kaum eine A4-Seite gefüllt. So erschuf die Autorin eine glaubhafte Fiktion der Figur und arbeitete gegebene Fakten in die Geschichte hinein. Schriber recherchiert gern so, als wäre sie mit einem Kriminalfall betraut. Die historischen Fakten mussten nachvollziehbar sein, gespickt mit glaubhafter Imagination.
Augenfällig, wie geglückt ihr die Geschichte ist, wird es besonders beim Beschreiben des ersten Treffens von Maria Antonia Räss mit dem jungen Soldaten Walt Disney. Sie traf ihn in Lugano, kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Disney war vom Anblick der puppenhaften Stickerinnen auf samtenen Klappstühlen entzückt – eine davon war Maria Antonia Räss.
Dem Soldaten fiel ein von Marias Vater bemaltes Holztäfelchen auf, welches den idealen Alltag eines Kleinbauern zeigte. «Ein Zwergenland und das im zerbombten Europa», habe Disney gedacht und gestaunt. Er sieht sich das Holztäfelchen ganz genau an. Auf einem Bohnendeckel entdeckt er einen in die Wolken herausragenden Schattten und fragt Maria, was das sei. «Eine Mauer», antwortet diese. Es war wohl die Geburt der Figur Mickey Mouse. «Wenn ich mein Manuskript durchlese, muss es klingen, als wäre es Musik», verrät Autorin Margrit Schriber. Darum habe sie den Text Dutzende Male umgeschrieben und angepasst.
Die Lesenden können nachvollziehen, warum Schribers Geschichten daher plätschern, gurgeln und springen, als ob es Beschriebe eines Bergbaches wären. Übrigens 35 Erbinnen und Erben erschienen zum Notariatstermin, nachdem Maria Antonia Räss starb. Auf einem Tisch seien zahlreiche Schmuckstücke bereitgelegen. Dass dies stimmt, bestätigte ein Gast an der Vernissage, die gar Teile besagter Erbteilung an sich trug. Es war eine Grossnichte der Protagonistin und zeigt, dass Maria Antonia Räss genau diesen Schmuck auf dem Buch-Cover trägt. Den Schmuck habe ihr ihre Grosstante geschenkt, erzählte sie und freute sich wie eine Schneekönigin, dass eine ihrer Vorfahren in einer Geschichte ein Gesicht erhielt.
Ricco Bilger
Danke für diesen schönen Text. Mit freundlichen Grüssen, Ricco Bilger, Verleger