Demokratie gestern, heute und morgen

Das kürzlich neu eingeweihte Stadtmuseum in Aarau ist schon von der Architektur und der Art der erzählten Geschichten her ein Besuch wert, doch die Wechselausstellung «Demokratie! Von der Guillotine zum Like-Button» ist eigentlich für jede Bürgerin und jeden Bürger ein reines Muss. Sie gibt besonders auch über den langen Weg des Frauenstimmrechts und über Sinn und Zweck des demokratischen Mitgestaltens Aufschluss.

 

Die kleine Frau in der Demokratie-Ausstellung verblüfft jeden. «Sitzt sie nun nur da in ihrem Stimmbüro, oder sagt sie auch etwas?», fragt sich der Gast und sucht nach dem Knopf, mit dem man sie aktivieren könnte. Doch dann beginnt sie ihr Publikum zu zählen und spricht es an. Die kleinen Gäste machen grosse Augen und die grossen und kleinen Zuschauer beginnen mit ihr zu diskutieren. «Bist du in einem Verein und nimmst du am öffentlichen Leben etwas teil?», fragt die kleine Frau einen Gast. «Ich bin Ausländer, aber ja, ich wohne gerne hier. Ich trink gern mal ein Bier mit den Kollegen in der Stadt», antwortet er. «Und wie ist es, nicht mitbestimmen zu können? Möchtest du abstimmen und wählen?», fragt die kleine Frau. Der Kreis der Zuhörerschaft wird immer grösser, und es wird rege diskutiert. «Das ist gelebte Demokratie», sagt die kleine Frau.

Den Kopf hinhalten

Bevor man den Kopf unter die Guillotine hält, muss man wissen, wofür man dies tun würde. «Wofür hielte ich also den Kopf hin?», wird rege im immer grösser werdenden Publikum diskutiert. «Für meine Freunde und für die Familie», ist die häufigste Antwort. Doch würde man sich dafür selbst unters Messer legen und Kopf und Kragen dabei  riskieren? Mutige entscheiden sich dafür und haben dann doch Bammel, als es ans Lebende geht. Wie gross die Angst der Tapferen ist, wird während des Vorgangs gefilmt und später an die Wand reflektiert.

Das Kunstwerk «Paper Cuts» von Mandy Smith und Hal Kirkland wird viel bestaunt. «Darf man aus einer Guillotine ein so schönes Werk schaffen?», wird wieder diskutiert. Freuen wir uns am Fortschritt, an der Revolution, die uns Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit brachte», sagt jemand. Nur Brüderlichkeit? Ein grosser Teil der Ausstellung zeigt den langen Weg zum Frauenstimmrecht. Ein anderer den Weg der Schweiz zur Demokratie. «Es gibt Menschen, die geben ihr Stimmrecht bereits im Stadthaus ab», erzählt Marc Griesshammer, Kurator der Ausstellung.

Mit Freiheit umgehen lernen

«Wer viel Freiheit hat, kann vielleicht damit nicht umgehen», sagt eine Frau. Das Publikum steht plötzlich schweigend vor den Bilateralen Verträgen in Original, die aktuell in Gefahr scheinen. Dürfen wir einfach zuschauen und uns damit entschuldigen, «die Oberen machen sowieso, was sie wollen», wie übertrüssige Stimmbürger/-innen sich oft äussern? Wer sich mit der Demokratie und dem Mitspracherecht auseinandersetzt, der findet im Stadtmuseum Aarau mit Sicherheit eine Antwort darauf.

Und nicht nur darauf, denn die Ausstellung ist für jede und jeden Schweizer Stimmbeteiligte/n eigentlich ein Muss. Der Weg in Bildern zur Demokratie, jener zum Frauenstimmrecht und die eindrücklichen Dokumentationen der demokratischen Kämpfe gegen die Kernkraft, der Kampf für eine  Frauenvertretung im Bundesrat, für den Mutterschaftsurlaub oder das Recht auf Abtreibung, gehen den Gästen sichtlich unter die Haut.

Durchs Wagen gewinnen

Höchst beeindruckend ist  sicher der Originalbrief einer Schulklasse, die sich beim Bundesrat über die Abweisung jüdischer Flüchtlinge im zweiten Weltkrieg beschwert. Beängstigend wirkt das ebenfalls originale Guillotinemesser aus dem revolutionären Paris. Sind die Werte der Grossmütter und jene der Enkel noch immer dieselben? Im «Generationendialog» ist dies zu erfahren. Heute läuft die Meinungsbildung grossenteils über die Medien. Der Datenschutz und der Schutz der Anonymität sind aktuelle Dauerthemen. Da das Internet nichts vergisst, können freie Meinungsäusserungen uns über Jahre verfolgen. Es muss also gelernt sein, mit Daten umzugehen.

Wann wollen wir mitentscheiden und wer soll angehört werden? Für wen gelten die Rechte und die Pflichten? Sollen alle bestimmen oder nur die Stimmberechtigten? Und ab welchem Alter ist man reif für die Mitbestimmung? Durch das Experiment Crowdfunding können Projektideen unterstützt und lanciert werden. Das Publikum ist per  «Gutestunschein» mit einem Fünflieber unmittelbar involviert – oder fordert den Geldbetrag später wieder zurück, wenn Projekte nicht überzeugen. Eigene Projektbeiträge sind aber auch per Website möglich. «Vielleicht wird schon bald die eigene Idee mitfinanziert», sagen die Verantwortlichen. Demokratie hat viele Gesichter und Meinungen – und nur wer etwas wagt, der kann letztlich auch gewinnen.

Zentrum für Demokratie Aarau

Das ZDA (Zentrum für Demokratie Aarau) ist eine gemeinsame Hochschuleinrichtung der Universität Zürich und der Fachhochschule Nordwestschweiz. Als akademisches Forschungszentrum befasst es sich interdisziplinär mit Grundlagenforschung und aktuellen wissenschaftlichen Fragen zur Demokratie – hier dort und überall auf der Welt. Neustes Kind ist die Ausstellung «Demokratie! Von der Guillotine zum Like-Button.

www.zdaarau.ch

www.stadtmuseum.ch

Der bittere Verrat an der ersten Bundesrätin, Elisabeth Kopp, wird dokumentarisch erlebbar gemacht.

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