
Die Baustelle der katholischen Kirche und Hoffnung auf Veränderung
Papst Franziskus hinterlasse die Kirche als «riesige Baustelle», sagte der Altabt von Einsiedeln Martin Werlen in einem Interview mit kath.ch. Grossbaustellen gliedern sich in Abschnitte, um Orientierung zu ermöglichen. Welches sind die Baustellenabschnitte, die der neue Pontifex antrifft? Der Blick von Francesco Papagni.
Die Verwirklichung einer synodalen Kirche war die Herzensangelegenheit des verstorbenen Papstes. Franziskus hat bis zuletzt alles getan, damit das Projekt auch über sein Pontifikat hinaus weitergeht. Nun ist es aber in den Händen seines Nachfolgers. Dieser kann es sanft beenden oder auch vorantreiben. Die Transformation einer selbstbezogenen Kirche in eine Gemeinschaft von Zuhörenden, in der die Verantwortlichen Rechenschaft ablegen müssen, hat eben erst begonnen.
Es fehle unter anderem die kirchenrechtliche Absicherung, sagte Joseph Maria Bonnemain, Bischof von Chur und selbst Kirchenrechtler, in einem Interview mit kath.ch: «Viele Abschnitte des Kirchenrechts müssen geändert werden, damit die Synode im Konkreten durchbuchstabiert werden kann.» Würde das Vorhaben weiterverfolgt, könnte es einen wahren Kulturwandel bewirken. Die Widerstände sind allerdings stark – die erste Baustelle für den Nachfolger Petri.
Missbrauch
Das Thema sexualisierte Gewalt werde auf dem Konklave eine wesentliche Rolle spielen, sagte die Kirchenjournalistin Annalena Müller. Es ist nur zu wünschen, dass sie recht behält, denn der Missbrauch ist ein Schwelbrand, der die Kirche von innen zerfrisst. Langsam, aber stetig. Der Jesuit und führende Experte Hans Zollner wies in einem Interview mit dem Portal CNA darauf hin, dass in vielen Ländern gar nicht über Sexualität gesprochen werden kann. Das wirke sich auch auf die Kirchenführung und alle Kirchenmitglieder dort aus. Wie dem auch sei, der neue Papst muss auf diesem Gebiet vorangehen und den Druck auf die Teilkirchen aufrechterhalten. Das ist eine Überlebensfrage für die Kirche.
Abkommen mit China
Das von Franziskus gewollte und von Kardinalstaatsekretär Pietro Parolin ausgehandelte Abkommen mit den chinesischen Kommunisten ist geheim. Indizien deuten darauf hin, dass der Heilige Stuhl der dortigen Regierung irgendein Mitspracherecht bei Bischofsernennungen eingeräumt hat. Für den Jesuiten Franziskus stellte China eine alte Geschichte dar: Es waren Jesuiten um Matteo Ricci, die in der frühen Neuzeit im Reich der Mitte missionierten und erhebliche Erfolge hatten. Wenig hätte gefehlt, und der Kaiser selbst wäre Christ geworden.
Der Briger Jesuit Nikolaus Klein ergänzt, dass es im frühen Zwanzigsten Jahrhundert zu einem systematischen Versuch einer Neumissionierung gekommen ist. Ob das in der Kirche hoch umstrittene Abkommen der Diktatur zu weit entgegengekommen ist, wird der neue Papst beurteilen. Die Angelegenheit hat schon Einfluss auf das Konklave: Bewerten die Kardinäle den Vertrag negativ, werden sowohl Parolin als auch der vielgenannte Kardinal Luis Tagle von Manila, ein ethnischer Chinese, der das Abkommen gutheisst, geringere Wahlchancen haben.
Öffnung oder Abgrenzung?
Seit dem II. Vatikanischen Konzil (1962-65), das die katholische Kirche mit der Moderne versöhnte, ringt die Kirche um den richtigen Weg. Während Papst Johannes Paul II. und Benedikt XVI. einen restaurativen Kurs fuhren, hat Papst Franziskus in einigen Punkten an das Konzil angeknüpft. Doch die Aussenwahrnehmung und das Urteil des hohen Klerus fallen auseinander: Viele Bischöfe und Kardinäle waren durch seine undiplomatische Sprache, seinen Führungsstil und seine Initiativen vor den Kopf gestossen. Der Dissens war meist nicht öffentlich, artikulierte sich in manchen Fällen aber auch medial.
Wenn der greise Kardinal Camillo Ruini, eine bis heute vielbeachtete Persönlichkeit, erklärt , dass die «katholische Form» wiedergefunden werden muss, spielt er auf genau diesen Umstand an. Im Klartext: Der nächste Papst soll wieder in den apostolischen Palast einziehen und die Exzellenzen der alten Erzbistümer zu Kardinälen kreieren, denn ein Organismus wie die Kirche lebt von Kontinuität und Berechenbarkeit. Die Grundfrage bleibt allerdings: Weitere Öffnung zur säkularen Welt oder stärkere Abgrenzung? Eine konsequente Öffnung birgt die Gefahr der Selbstsäkularisierung, des Aufgehens in der Welt, die Abschottung jene der Selbstbezüglichkeit. Es bleibt der Auftrag der Kirche, das Evangelium allen zu verkünden.
Frauenfrage und das Zölibat
Die Zölibats- und Frauenfrage war ein Thema unter Franziskus. In der von ihm ermutigten Amazonas-Synode gab es eine Mehrheit für die Weihe von sogenannten viri probati, von bewährten verheirateten Männern. Und auch über die Diakoninnenweihe wurde dort freimütig diskutiert. Dass der Papst dann auf die Bremse trat, hatte auch mit der starken Opposition im Kardinalskollegium zu tun. Die konservative Opposition, die sich damals in skandalöser Weise der Rückendeckung durch papa emeritus Ratzinger sicher sein konnte, löste eine Krise der päpstlichen Autorität aus.
Wie immer man in diesen Fragen denkt, der Priestermangel in vielen Teilen der Welt hat zur Folge, dass die Gläubigen dort keinen regelmässigen Zugang zu den Sakramenten haben. Die katholische Kirche entwickelt sich zu einer Kirche der Laien. Das müsste gerade Konservative beunruhigen. Der oberste Grundsatz des Kirchenrechts lautet: salus animarum suprema lex. Zu Deutsch: Das Heil der Seelen ist oberstes Gebot. Auch deshalb bleiben diese zwei Themen Baustellen für den neuen Heiligen Vater.
Dezentralisierung
Die Kirche lebt auf den verschieden Kontinenten in verschiedenen Zeitzonen, wie der Vatikanist Marco Politi sich ausdrückt. Er meint damit, dass die Befindlichkeiten, die Themen jeweils andere sind. Das Bild einer pyramidalen, zentral gelenkten Kirche ist antiquiert. Dezentralisierung müsste die logische Konsequenz sein, doch diese birgt die Gefahr, dass die Teilkirchen auseinanderdriften. Die Kardinäle haben das abschreckende Beispiel der anglikanischen Kirche vor Augen, die faktisch gespalten ist in einen liberalen Teil im Norden und einen konservativen in Afrika und Asien. Dezentralisierung gefährdet also die Einheit der Kirche, aber die zentrale Lenkung funktioniert auch nicht mehr. Dieses Dilemma bleibt eine Baustelle für den neuen Papst.
Ökumene und Interreligiöser Dialog
Franziskus wollte den Gesprächsfaden mit dem Moskauer Patriarchat nicht ganz abreissen lassen und provozierte dadurch die Entfremdung nicht nur der Ukrainer. Die Ökumene mit den protestantischen Denominationen erfuhr hingegen keine wesentlichen Impulse. Das Verhältnis der Kirche zum Judentum wurde durch unbedachte Äusserungen des Papstes zum Gazakrieg belastet. Hingegen begann Franziskus ein Gespräch mit dem sunnitischen Islam. Viele in der katholischen Kirche sehen den Islam jedoch als Konkurrenten, wenn nicht als Gefahr. Wie es auf diesen Baustellen weitergeht, hängt von der Persönlichkeit des neuen Pontifex ab.
kath.ch / Vatican News / Katholisch.de (auch Bild) / cfo