Die Spiegel der Gesellschaft – Sonderausstellung im Rietberg Museum Zürich
Der Begriff «Spiegel» ist doppeldeutig. Er kann als Zeichen der Eitelkeit gelten. Bestes Beispiel ist die Stiefmutter im grimmschen Märchen Schneewittchen. Aber er kann auch Spiegelbild der Selbsterkenntnis, Spiegelbild der Seele sein und nicht zuletzt das Spiegelbild unserer Zeit. All diese Arten von Spiegeln, mit 220 Kunstwerke aus 95 Museen und Sammlungen, werden aus handwerklicher und technologischer Sicht, wie auch aus kultureller gesellschaftliche Tragweite in der aktuellen Ausstellung im Museums Rietberg in Zürich beleuchtet. Die Ausstellung dauert bis 22. September 2019 und wurde vom scheidenden Direktor Dr. Albert Lutz kuratiert.
Die Ausstellung umfasst die Jahrtausend alte Kulturgeschichte des Spiegels, ob im alten Ägypten , bei den Maya in Mexiko, in Japan, in Venedig oder in der Kunst und im Spielfilm von heute. Zivilisationen rund um den Globus haben Spiegel hergestellt und ihnen unterschiedliche Bedeutungen und Wirkkräfte beigemessen. Die ersten von Menschen erschaffenen Spiegel entstanden möglicherweise in der Kupfersteinzeit oder Bronzezeit.
Die vor über 7000 Jahren gefertigten Spiegel aus Obsidan (einem schwarzen vulkanischen Gesteinsglas), die man in neolithischen Gräbern von Catalhöyük in Anatolien gefunden hat, gelten heute als die ältesten Spiegel der Welt. Im präkolumbischen Amerika wurden neben Obsidan vor allem auch andere spiegelnde Mineralien wie Pyrit und Hämatit zu Spiegeln verarbeitet. Mit dem Aufblühen der Bronzekulturen in Mesopotamien, Ägypten und China verbreiteten sich um 3000 v.Chr. die blank polierten, meist kreisrunden Metallspiegel. Diese dienten aber nicht nur kultischen Zwecken und als Grab-Beigaben, sondern auch zur kosmetischen Pflege des Gesichts.
Mit einem ägyptischen Bronzespiegel aus dem 19. Jahrhundert v.Chr, den ein Vater für seine Tochter «zur Betrachtung des Gesichts» herstellen liess, beginnt in der Rietberger-Ausstellung die Weltreise durch die Geschichte der Spiegel.
Die Verarbeitung von Glas zu Spiegeln setzte in Europa, nach ersten Beispielen in römischer Zeit, ab dem 13. Jahrhundert ein. Sie wurden in glasverarbeitenden Werkstätten Mitteleuropas und Italiens produziert. Die den europäischen und den weltweiten Markt beherrschenden Glasspiegel von Murano/Venedig und die in den Werkstätten von Saint-Gobain für den französischen Königshof von Versailles hergestellten Spiegel bildeten den Höhepunkt europäischer Spiegelproduktion des 16. bis 18 Jahrhunderts. Aber die Herstellung dieser Spiegel, die mit Zinn und Quecksilber hinterlegt waren, führte bei den Spiegelmachern, die den giftigen Ausdünstungen ausgesetzt waren, meist zum frühen Tod. Die von Justus von Liebig (deutscher Chemiker) entdeckte Technologie einer giftfreien Beschichtung von Glas führte ab den 1860er Jahren zum Siegeszug der mit Silber und heute vor allem mit Aluminium beschichteten Glasspiegel.
Die Ausstellung weist auch auf den antiken Mythos des Narziss‘ hin. Es geht um die Geschichte eines jungen Mannes, der sich in sein Spiegelbild im Wasser verliebt, dann aber erkennt, dass seine Liebe aussichtslos ist und schliesslich vor Verzweiflung und Auszehrung zu Tode kommt. Das weckte über Jahrhunderte hinweg die Fantasie kreativer Geister. Der Narziss-Mythos wurde zum Dauerthema, wenn es um Selbstliebe und Selbstwertgefühl, Leben und Tod ging.
Wohl eines der schönsten Erlebnisse ist die Selbsterkennung der Kleinkinder. Neugeborene und Säuglinge interessieren sich schon früh für Gesichter. Das Gesicht der Mutter, der ersten Bezugsperson, ist für das Kind der «erste Spiegel». Kleinkinder interagieren mit ihrem Spiegelbild zuerst wie mit einem «unbekannten» Gegenüber. Mit etwa 18 Monaten erkennen sich Kinder im Spiegel. Allmählich entwickelt sich dann auch die Fähigkeit, das eigene Selbst als Objekt wahrzunehmen und es zu reflektieren. Der griechische Philosoph Sokrates empfahl seinen Schülern, sich im Spiegel zu betrachten, um über Schönheit und Vergänglichkeit nachzudenken und die eigene Seele zu kultivieren.
Ein buntes Rahmenprogramm begleitet die spannende Ausstellung im Rietberg Museum.