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Geschlechtsverkehrt die Frau verstehen

Geschlechtsverkehrt die Frau verstehen

«Als «Normalo»-Mann habe ich mir von Gülsha und einem queeren Arzt den weiblichen Körper erklären lassen. Kann das gut gehen?», fragte sich AZ-Redaktor Simon Maurer und fasst seine Erkenntnisse im nachfolgenden Bericht zusammen.

 

Etwas Angst vor einer Standpauke haben wir schon, als wir – junge weisse Männer – uns diesen Abend ins Bierhübeli in Bern setzen. Denn Vorzeige-Feministin Gülsha Adilji hat zusammen mit dem queeren Influencer und Arzt Mertcan Usluer zur Nachhilfestunde über den weiblichen Körper eingeladen. Der Programmbeschrieb ist zwar witzig, aber mit latenten Vorwürfen der Unwissenheit gegenüber uns Cis-Männern gespickt. So sind wir gespannt, wie die beiden Comedians aus uns ungebildeten Macho-Männern in nur zwei Stunden einfühlsame Frauenversteher machen wollen.

Die Show beginnt schon mal pompös mit dem lauten Einmarsch von Gülsha und dem Kölner Arzt und Influencer Merci, besser bekannt als Gynäkollege. Die beiden setzten sich mit Champagnergläsern auf ein schwarzes Ledersofa, untermalt mit pinker Beleuchtung und pinken Accessoires. Das ist also die Atmosphäre des Mädelsabends unserer Freundinnen, wenn die sich mal ohne Jungs treffen, denken wir. Und schon geht’s los mit viel weiblicher Energy und indignierenden Fragen ins Publikum. «Können Frauen pinkeln, wenn sie einen Tampon in der Vagina haben», fragt Gülsha die Daniels und Thomasse im Publikum. Und während so manche Freundin überrascht ist, wie wenig der Partner doch über den weiblichen Körper weiss, erinnern wir uns zurück an die Anfänge des eigenen Medizinstudiums. Als in der Anatomie mehr als die Hälfte der Männer die Antwort auf diese Frage auch nicht sicher wusste.

Feines Edutainment nach dem Gusto der Gen Z

Offenbar weiss der Durchschnittsmann tatsächlich nicht besonders viel über den weiblichen Körper. Das macht die Show von Gülsha und dem Gynäkollegen dem rasch baffen Publikum an mehreren Stellen bewusst, als simple Fakten aus der Gynäkologie ein peinlich überraschtes Raunen auslösen.

Wieso dass etwa Vagina-Saft die Unterhose bleicht oder dass der Harnstoff eines Babys während der Schwangerschaft ins Blut der Mutter gelangt, weiss nur eine Minderheit der anwesenden Männer – und vielleicht auch Frauen. Die Absurditäten der Gynäkologie werden dem Publikum hier auf witzige Weise serviert, sodass man hungrig wird nach noch mehr Fakten. Und das ist bei einer Nachhilfestunde zu Sexualkunde mit so viel formalmedizinischem Wissen doch erstaunlich. Besonders, wenn man sich an den Peino-Sexualkundeunterricht aus der Schulzeit erinnert.

Das Gespräch zwischen Gynäkollege Merci und Moderatorin Gülsha wird allerdings eher mit der verbalen Streitaxt geführt statt mit dem intellektuellen Florett. «Herr Doktor, schauen Sie meine Fotze an» und die «Wixxe im Kondom» sind nur einige der vulgären Perlen, mit denen das Publikum wachgeschockt wird. Unsere übliche Weisse-Mann-Ausrede, dass hier wegen des Wokeismus nicht mehr alles gesagt werden darf, gilt in dieser Nachhilfestunde nicht. Aufgrund des derben Vokabulars fühlt man sich manchmal aber fast wieder wie ein Teenager auf dem Pausenhof.

Opfer der Spässe sind zu einfach gewählt

Auch sonst irritiert die Sprache ein wenig. Ob es wirklich so ein Fortschritt ist, wenn man von «Vagina-Menschen» statt Frauen spricht, darf man bezweifeln. Auch der oft verwendete Pluralis Majestatis zum Ausdrücken von Dingen, die Männer anders tun sollten, klingt ein bisschen gar aggressiv. Wobei: Gülsha ist im Instagram-Jargon der Gen Z natürlich eine Queen – und Doktor Merci ein King. Vielleicht muss man den beiden deshalb die etwas gestelzte Sprache nachsehen.

Es folgen Stiche gegen alte weisse Macho-Männer. Thomas Gottschalk kriegt sein Fett weg, der angebliche, aber freigesprochene Frauenschläger und Comedian Luke Mockridge ebenso. Die Sticheleien funktionieren, und im Publikum ist man jederzeit anständig unterhalten. Arbeiten sollten Gülsha und der Gynäkollege an der Zielrichtung ihrer Giftpfeile. Die landen zu oft bei denen, die wir als Mehrheitsgesellschaft eh schon doof finden, namentlich bei sexistischen alten Männern mit deutschem oder schweizerischem Hintergrund.

Unterhaltsam, wenn man die letzte Minute ignoriert

Eine Schelte von migrantischen Machos bleibt dagegen komplett aus – dabei kreieren diese einen nicht unerheblichen Teil des Sexismus, welcher der weiblichen Hälfte der Bevölkerung Probleme macht. Die hätten die Aufklärung zum weiblichen Körper mindestens so nötig wie der männliche Biodeutsche oder -schweizer.

Am Ende fühlen wir uns dennoch gut unterhalten. Eine kurze Publikumsumfrage zeigt, dass Mann an diesem Abend nicht nur gelacht, sondern auch ziemlich was dazugelernt hat. Die Show benutzt nämlich zwei der wirkungsvollsten Prinzipien der Rhetorik, die es überhaupt nur gibt. Erstens lernt der Mensch Fakten mit lustigen ­Assoziationen am besten. Zweitens überzeugt man ein kritisches Gegenüber, das mit einer diametral entgegengesetzten Einstellung auf einen zukommt, am besten mit Humor.

Als männliche Zuschauer wollen wir uns deshalb sensibel und geläutert auf den Nachhauseweg machen – und versprechen, dass wir den Toilettensitz in Zukunft nie mehr oben lassen, keine Witze mehr über Perioden machen und der Freundin beim nächsten Endometriose-Schub sofort einen Kakao ans Bett bringen.

Geschlechtsverkehrt. Mit Gülsha Adilji und Gynäkollege Mertcan Usluer. 21.1., Südpol Kriens. Weitere Shows sind im Winter 2025 geplant.

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