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Leben in der Nazi-Zeit, ein Stück Ostschweizer Geschichte, eine Lesung und ein Tipp für ein bedeutsames Buch

Leben in der Nazi-Zeit, ein Stück Ostschweizer Geschichte, eine Lesung und ein Tipp für ein bedeutsames Buch

Zwei junge Menschen leben im Deutschland der 1930er Jahre. Beide sind sie Intellektuelle, sie mit dem Gefühl einer Mission. Der Mann ist Geisteswissenschaftler und die Frau ist Künstlerin und Schriftstellerin. Während sich Ursula und Heinz erst dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus verschreiben, «der den Geist der Menschen abtötet», erliegen sie mehr und mehr der Faszination der Person Adolf Hitler. Wie kann so etwas bloss geschehen?

 

Das Buch «Meine Mutter, mein Vater, Hitler und ich. Lebenswege einer Familie im Dritten Reich» beschreibt eindrücklich den stetigen Sinneswechsel des Paares und wie die unglaubliche Wahrheit auch die Nachkommen prägt. Hat man die geliebten Eltern auch wirklich gekannt? «Menschen werden nicht nur gelenkt, sondern lenken auch selber», so die Erkenntnis, als sich Dagmar – vor Jahren Schweizerin geworden – mit fast 60 Jahren vor der Aufgabe sieht, das unglaubliche Erbe der Eltern zu ordnen und der Öffentlichkeit zu erschliessen. Das Zeugnis an Briefen, Tagebüchern, Erinnerungen und schriftstellerischen Versuchen der Schriftstellerin Ursula zeigt deutlich den Spagat eines Doppellebens auf und was braunes Gedankengut mit Menschen macht. Erschütternd, traumatisierend, unglaublich – und vor allem äusserst wertvoll auch für die späteren Generationen.

Die Autorin, Dagmar Kötscher, wurde als einziges Kind ihrer Eltern im Jahr 1939 geboren und in Nazideutschland gross. Den Vater, der in deutscher Kriegsgefangenschaft war, lernte sie erst mit acht Jahren richtig kennen. Als sie mit den Eltern 1949 nach Düsseldorf floh, trat sie dort ins Gymnasium ein, studierte später Medizin in Freiburg im Breisgau, Zürich, Düsseldorf und München. Sie zog 1976 ins Appenzellerland und wirkte während zwölf Jahren als Oberärztin in der Kantonalen Psychiatrischen Klinik Herisau. Noch heute gehört Dagmar Kötscher dem Institut für Psychoanalyse Zürich und Kreuzlingen an, wo sie die Grundlagen der Psychoanalyse studierte. 1989 bis 2005 führte sie eine Psychiatrische-therapeutische Praxis in Heiden und lebt seit der Pension in Lachen bei Walzenhausen.

Man muss die eigenen Wurzeln erforschen, die einen prägten, fand die Autorin im Rahmen ihrer Recherchen um das Leben ihrer Herkunft heraus. Die schwierige Beziehung zur Mutter, die auch 36 Jahre nach deren Tod noch in ihr Leben eingriff, musste wohl aufgearbeitet sein. Doch letztlich sollte ein Traum in der Nacht vom 29. auf den 30. Januar 1998 – vor dem 65. Jahrestag der Machtübergabe an Hitler – der eigentliche Auslöser sein. Dagmar sollte darin einer Frau wiederholt Gift überreichen und scheiterte mehrmals dabei. Dennoch wachte sie mit dem Gedanken auf: «Ich bin eine Mörderin und in ein Naziverbrechen verwickelt». Selbst wenn sie zeitweise mit der vergifteten Frau unter derselben Decke gesteckt hatte, brachte die Autorin das Gefühl der eigenen Mitschuld nie ganz los. Mit ihrem Buch öffnet sie jetzt denjenigen die Augen, denen unbekannt ist, wie das Leben in und um Nazi-Deutschland war. Man trägt eine gewisse Verantwortung für das Ganze, selbst wenn man nicht eigentlich Mittäter war.

Bild: Bucheinband

Das Archiv für Frauen-, Geschlechter- und Sozialgeschichte Ostschweiz in St. Gallen lädt herzlich zum Holocaust-Gedenktag am Montag, 27. Januar 2020,ab 19 Uhr, ein. Die Schauspielerin Ursula Affolter liest aus dem Buch «Meine Mutter, mein Vater, Hitler und ich. Lebenswege einer Familie im Dritten Reich» von Dagmar Kötscher, Lachen bei Walzenhausen.

 

«Meine Mutter, mein Vater, Hitler und ich. Lebenswege einer Familie im Dritten Reich» von Dagmar Kötscher

  • VERLAG:Alfred Kröner Verlag
  • GENRE:Sachbücher / Politik, Gesellschaft & Wirtschaft
  • SEITENZAHL:400
  • ERSTERSCHEINUNG:01.2018
  • ISBN:9783520620019

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