MA SAISON PRÉFÉRÉE – Filmtipp Kinok
Erst am Krankenbett ihrer Mutter treffen Émilie und ihr Bruder Antoine nach langer Zeit wieder aufeinander. Meisterhaft verkörpern Catherine Deneuve und Daniel Auteuil in André Téchinés Drama die beiden entfremdeten Geschwister, die durch die Begegnung und den Sterbeprozess aus der Bahn geworfen werden.
Als Kinder verband Émilie und Antoine eine aussergewöhnlich innige Beziehung. Doch seit sie Karriere gemacht haben – sie als Notarin, er als Gehirnchirurg – haben sie sich entfremdet. Émilie führt mit ihrem Mann Bruno, zwei fast erwachsenen Kindern und einem grossen Haus mit Pool ein bürgerlich-biederes Leben, was der impulsive, ewige Junggeselle Antoine, der ein latent inzestuöses Verlangen nach seiner Schwester hegt, von Herzen verabscheut. Seit der Beerdigung ihres Vaters vor drei Jahren, bei der sich Antoine offenbar daneben benahm, herrscht Funkstille zwischen den Geschwistern.
Als aber ihre Mutter einen Schwächeanfall erleidet und Émilie sie vorübergehend zu sich holt, sieht sie sich gezwungen, wieder Kontakt zu ihrem Bruder aufzunehmen, und lädt – zum Ärger ihres Mannes – Antoine zu Weihnachten ein. So sehr sich dieser auch bemüht, sich zu benehmen und keine kritischen Themen anzusprechen, endet der Abend doch im Eklat. In Anbetracht des nahenden Todes ihrer Mutter müssen sich die Geschwister mit sich selbst, ihrer Vergangenheit und Gegenwart und dem, was sie aus ihrem Leben gemacht haben, auseinandersetzen …
Vor dem friedlichen Hintergrund der vergehenden Jahreszeiten zeichnet der französische Meisterregisseur André Téchiné ein ebenso behutsames wie sensibles Geschwister- und Familienporträt über individuelle Emanzipation, das Auseinanderdriften der Generationen und die Kälte des modernen Lebens, in dem Catherine Deneuve und Daniel Auteuil zu Höchstform auflaufen.
Andreas Furler schrieb seinerzeit im Tages-Anzeiger: «Wie Deneuve und Auteuil diese beiden Figuren, Émilie und Antoine, verkörpern, ist die eine Meisterleistung dieses Films. Weit muss man suchen, um eine vergleichbare Natürlichkeit und Intimität, Leichtigkeit und Intensität der Konfrontation zu finden. Gena Rowlands und John Cassavetes gingen in ihren gemeinsamen Filmen solche Risiken ein. Téchiné hat das Paar in den Zweierszenen jeweils gleichzeitig mit je einer Kamera gefilmt, damit die Auseinandersetzungen möglichst echt wirken. Feinste Nuancen sind nun sichtbar: auf Auteuils Gesicht die Anflüge jener Panik, die Antoine immer wieder davonlaufen liess. In Deneuves Stimme mitunter eine Brüchigkeit, die das Leiden hinter Émilies beherrschtem Gesicht erahnen lässt.»