Potenzial junger Frauen nicht brachliegen lassen

Potenzial junger Frauen nicht brachliegen lassen

Warum sich wieder mehr junge Frauen bei der Berufswahl an traditionellen Rollen orientieren, welche Gefahren der «Gleichstellungsmythos» birgt und worauf Männer in ihrer Karriereplanung achten sollten – ein Gespräch mit Gabriella Schmid, Professorin der Ostschweizer Fachhochschule

Frau Schmid, die Ergebnisse Ihrer Vorstudie «Mädchen in der Schweiz» haben national für Schlagzeilen gesorgt. Was ist besorgniserregend am Ergebnis, dass Mädchen wieder häufiger klassische «Frauenberufe» wählen?
Um es gleich vorwegzunehmen: Es geht nicht darum, zu sagen, dass Frauenberufe schlecht seien. Wir haben aber festgestellt, dass Mädchen eigentlich vielfältige Interessen und Begabungen haben. Je älter sie werden, desto mehr fokussieren sie sich aber wieder auf geschlechtstypische Berufe – oft auch unabhängig von ihren Fähigkeiten und Interessen.

Was sind die Nachteile bei einer Berufswahl nach traditionellen Rollenbildern?
Viele typische Frauenberufe sind nach wie vor schlechter bezahlt und bieten weniger Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten als andere Berufe. Jungen Frauen wird das oftmals erst dann bewusst, wenn sie eine Familie gründen möchten. Nicht selten scheitert an dieser finanziellen Schlechterstellung auch ein Familienmodell, in welchem sich Mann und Frau Berufs- und Familienarbeit gleichermassen teilen möchten. Angesichts der inzwischen hohen Scheidungsquote von ungefähr 50 Prozent in der Schweiz ist die Wahrscheinlichkeit zudem gross, dass eine Frau irgendwann wieder finanziell auf eigenen Beinen stehen muss. Das ist mit einem tiefen Lohn einfach schwieriger, vor allem wenn die Frau auch noch für Kinder zu sorgen hat. Dadurch haben Frauen ein höheres Armutsrisiko.

Viele Frauen sind gut ausgebildet. Ihre Studie kommt zum Schluss, dass sie ihr Potenzial im Berufsleben oft nicht ausschöpfen. Woran liegt das?
Das hat einerseits strukturelle Gründe: In der Schweiz ist es heute immer noch schwierig, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Im Vergleich zu anderen Ländern in Europa gibt es noch Verbesserungspotenzial bei den ausserfamiliären Betreuungsangeboten. Aber auch individuelle Gründe können eine Rolle spielen: Mädchen nehmen sich oft schnell zurück, trauen sich weniger zu und lassen den Buben den Vortritt. Das wirkt sich später auch im Berufsleben aus. Da ist viel Potenzial vorhanden, das wir nicht brachliegen lassen sollten.

Sie beobachten, dass das Selbstbewusstsein vieler Mädchen in der Pubertät eine Art «Knick» bekommt. Was könnten die Gründe dafür sein?
Die Pubertät ist sowohl für Mädchen als auch für Buben keine einfache Zeit. Da gibt es viele Veränderungen in einem Menschen, und das kann zu Verunsicherungen führen. Warum viele junge Frauen ihr früheres Selbstbewusstsein aber nicht mehr zurück erlangen, ist eine Frage, die mich nach wie vor beschäftigt, und die wir in der laufenden Studie «Mädchen in der Schweiz» vertiefen möchten. Meine Vermutung ist, dass der sogenannte «Gleichstellungsmythos» eine Ursache sein könnte: Mädchen wird einerseits die Botschaft vermittelt, dass ihnen alle Wege offen stünden und sie die Chance nur zu packen
bräuchten. Gleichzeitig wird heute aber auch oft über verschiedene Kanäle – wie etwa durch TV-Shows mit
Models – ein sehr einseitiges Frauenbild verbreitet. Es geht um Schönheit und Sexiness; Intelligenz und Selbstbewusstsein sind weniger gefragt. Das sind Widersprüche, die jedes Mädchen für sich selbst lösen muss.

Wo sollte die Soziale Arbeit ansetzen, damit dieser «Knick» verhindert oder abgeschwächt werden kann?
Die Profession der Sozialen Arbeit bietet grundsätzlich verschiedene Ansätze und Methoden, um dafür
einen Beitrag zu leisten. In unserer laufenden Studie «Mädchen in der Schweiz» möchten wir diese in Zusammenarbeit mit Mädchen, jungen Frauen und Praxisorganisationen weiterentwickeln und vertiefen. Eine Idee wäre zum Beispiel der Ansatz von Peer Education, den ich in Südafrika kennen gelernt habe: Ältere und jüngere Mädchen erarbeiten in Gruppen etwas gemeinsam. Letztere erhalten dadurch reale Vorbilder und lernen Neues. Erstere übernehmen Verantwortung, erleben sich als selbstwirksam und können gleichzeitig ihre Stärken weiterentwickeln. Diesen Ansatz – der auch teilweise in der Pfadi oder anderen Organisationen gelebt wird – müsste man in der Sozialen Arbeit stärker nutzen.

In technischen Studiengängen der Fachhochschule Ostschweiz ist der Frauenanteil mit zwölf Prozent gering. Was tut Ihr Institut dagegen?
Da setzen wir mit unterschiedlichen Workshops und Projekten an. Ziel ist es, dass Frauen angemessener in technischen Berufen als Fach- und Führungskräfte vertreten sind, ihr Potenzial entfalten können und auch andere Frauen auf die Studiengänge und Berufe aufmerksam machen. Wir haben etwa das Projekt «Prenez Place Mesdames!» lanciert. Für Studentinnen und Absolventinnen technischer und bauplanerischer Studiengänge der FHO gibt es zum Beispiel mehrtägige Workshops für ihre Karriereplanung.

Worauf sollten Frauen im Karrierewettbewerb besonders achten?
Kurz gesagt: die Investition in die eigene Bildung wertschätzen und nicht vorschnell in der Karriereplanung zugunsten von Familienarbeit oder der Berufskarriere des Partners zurückstecken.

 

Prof. Gabriella Schmid, Soziologin und Sozialpädagogin, ist Dozentin im Fachbereich Soziale Arbeit an der Ostschweizer Fachhochschule. Ihre Spezialgebiete sind u.a. Gender, Chancengleichheit und häusliche Gewalt.

One thought on “Potenzial junger Frauen nicht brachliegen lassen

  1. Interessantes Interview; -danke! Als Leserin komme ich zum Schluss, dass es eben nicht nur “Gender & Diversity” braucht, sondern nach wie vor der Feminismus, mittels dem Mädchen und junge Frauen dazu ermutigt werden, nach ihrem eigenen Begehren zu fragen und zu suchen. Ohne Empowerment und starke Mädchen und Frauen kommtauch die Gleichstellung nicht weiter. Und nach wie vor gilt: “Ich sprüh’s an jede Wand: Neue Männer braucht das Land!” (Ina Deter 1982); -will sagen: Auch die Männer sollten sich langsam aber sicher bewegen!


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