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Vom halben zum ganzen Stimmvolk im Fürstentum Liechtenstein

Vom halben zum ganzen Stimmvolk im Fürstentum Liechtenstein

Noch bis 26. Januar 2025 würdigt das Liechtensteinische LandesMuseum das vierzigjährige Jubiläum zur Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts im Land. Es zeigt nicht nur den steinigen Weg dazu auf, sondern auch, wo das gleichgestellte Liechtenstein heute steht.

 

Liechenstein ist das letzte Land in Europa, das den Frauen die Ausübung der politischen Rechte zugestand. Am Abstimmungswochenende vom 29. Juni auf den 1. Juli 1984 war es endlich soweit. Dann nämlich fand der steinige Weg zu Mitspracherecht und Mitbestimmung nahm ein Ende. Dass Frauen in der früheren Neuzeit keine politischen Rechte hatten, liegt daran, dass diese an Besitztum und Steuerpflicht geknüpft waren. Sie wurden nicht schriftlich festgehalten, sondern als Selbstverwaltungs- oder Gewohnheitsrecht ausgeübt. Im ländlichen Liechtenstein organisierte sich das Gemeinwesen auf Gemeindeebene. In der ersten landständischen Verfassund von 1818 war ein Stimmrecht nur für Männer vorgesehen. Als einzige Ausnahme wurden diese Witwen zugestanden, die einem Haushalt vorstehen mussten.

1918, als in Deutschland und Österreich das aktive und passive Wahlrecht eingeführt wurde, galt es in Liechtenstein immer noch als unziemlich, Frauen mitbestimmen zu lassen. Im Alltag hingegen waren Frauen durchaus präsent, sofern sie einem vorbestimmten Frauenbild entsprachen, das katholisch-konservativ und von Mütterlichkeit und Fürsorglichkeit geprägt war.  So wurde denn bei der Einführung der Landesverfassung 1921 gar nicht über dieses Thema diskutiert.  1957 riefen die Medien vor den Landtagswahlen die Frauen öffentlich auf, ihre männlichen Familienmitglieder günstig zu beeinflussen, doch eine ernsthafte Mitbestimmung wurde nicht thematisiert.

Mit der Schweiz stark verbunden, wurde natürlich auf das Nachbarland geschaut, das 1959 den ersten Vorstoss für ein Frauenstimmrecht bodigte und dies auch in den 1960er-Jahren jeweils so beibehielt. Hingegen dem 1965 gegründeten Jugendparlament gehörten auch Frauen zwischen 16 und 30 Jahren an. Über diesen Kanal machten sich junge Liechtensteinerinnen und Pfadfinderinnen für frauenemanzipatorische Themen stark. Zwei Versuche einer Einführung eines Frauenstimm- und -wahrechts auf Basis eines Landtagsbeschlusses wurden 1965 und 1968 vorgenommen. Die federführenden Männer waren Mitglieder alteingesessener politischer Parteien und genossen die Unterstützung des Landtagsabgeordneten und Regierungschefs. Doch es herrschte Uneinigkeit über die richtige politische Vorgehensweise. Sollen die Männer abstimmen oder brauchte man(n) einen Landtagsbeschluss.

Am 4. Juli 1968 durften sich schliesslich die Frauen an einem Referendum in Form einer Konsultativabstimmung beteiligen. Sie wurde mit einer knappen Nein-Mehrheit von 50,5 Prozent abgelehnt. Hingegen die Männer lehnten das Stimmrecht sowieso mit 54,5 Prozent ab. Fürst Franz Josef II sprach sie ab 1969 mehrmals für eine Einfühung des Frauenstimm- und -wahlrechts aus, unternahm aber keine politischen Schritte. Es wurde aber am 7. November 1969 ein Komitee für das Frauenstimmrecht gegründet. Hauptinitiatorinnen waren Bernadette Brunhart (geb. Biedermann) und Elfriede Winiger (geb. Seger), die damals als Sekretärinnen der Landesverwaltung wirkten. Mit Diskussionsabenden und aktiver Mitarbeit in den politischen Parteien versuchten sie das traditionelle Frauenbild zu verändern, das weiterhin auf weiblichem Charme und Hilfsbedürftigkeit fusste. Es formierte sich nach verfehlter Einführung eines Stimmrechts im Jahr 1971 eine «Arbeitsgruppe für die Frau» als überparteiliche Organisation. Diese wirkte bis zur Erreichung der Einführung politscher Gleichstellung im Jahr 1984 und wurde durch Folgeorganisationen zum gleichen Thema abgelöst.

Uneinigkeit herrschte jedoch, ob die «Erlangung einer sinnvollen Gleichberechtigung» eine aktive Öffentlichkeitsabeit beinhalten soll oder besser nicht. Nur zwei der elf Gemeinden Liechtensteins entschieden sich im Mai 1981 nicht gegen ein Frauenstimmrecht. Regina Marxer und Barbara Rheinberger führten darum die «Aktion Dornröschen» ein, die ein Jahr später Unterstützung von vorerst 12 Männern im Rahmen einer Aktionsgruppe erhielt.

Jahrzehnte lang wurde also auch im Liechtensteinischen für die Gleichstellung gekämpft und ohne Männer hätte es nicht geklappt. Es benötigte innen- und aussenpolitischen Druck. Das Liechtensteinische Landesmuseum würdigt nun den steinigen Weg zum schliesslichen Erfolg. Es geht auch der Frage nach, was bezüglich Gleichstellung von Mann und Frau seit 1984 passiert ist. Die Ausstellung bietet damit die Möglichkeit, darüber zu reflektieren, wo Liechtenstein heute steht.

 

Rahmenprogramm

Die Sonderausstellung wird von einem interessanten Rahmenprogramm begleitet:

Dienstag, 24. September 2024, 18 Uhr, Liechtensteinisches LandesMuseum, Meilen- und Stolpersteine der Gleichstellung von 1984 bis heute. Referate: Prof. Dr. Patricia Schiess, Forschungsbeauftragte am Liechtenstein-Institut, und Dr. Wilfried Marxer, Politikwissenschaftler

Dienstag, 29. Oktober 2024, 18 Uhr, Liechtensteinisches LandesMuseum, Zeitzeuginnen führen durch den Gang der Geschichte. Präsentationen und Interviews mit den Zeitzeuginnen Helen Marxer, Astrid Walser, Claudia Heeb-Fleck, Martina Haas und Andrea Hoch. Moderation: Asha Ospelt-Riederer

Mittwoch, 20. November 2024, 18 Uhr, Liechtensteinisches LandesMuseum, Gleichstellung geht uns alle an. Referat: Markus Theunert, Autor, Psychologe und Soziologe, Fachmann für Männer- und Geschlechterfragen, anschliessend Diskussion mit Gabriella Alvarez-Hummel

Sonntag, 26. Januar 2025, 11 Uhr, Liechtensteinisches LandesMuseum, Finissage. Übergabe der Dokumente und Objekte des Liechtensteinischen Frauenarchivs ans Liechtensteinische Landesarchiv und Liechtensteinische LandesMuseum.

Das Rahmenprogramm wurde vom Verein Frauen in guter Verfassung und dem Fachbereich Chancengleichheit, Amt für Soziale Dienste, organisiert.

Broschüre

Zur Ausstellung erscheint eine Broschüre in Deutsch und Englisch, diese ist für CHF 18.00 im Shop des Liechtensteinischen LandesMuseums oder auf shop.landesmuseum.li erhältlich.

Volksabstimmung 1971

Am 5. Oktober 1970 ging von der Fortschrittlichen Bürgerpartei (FBP) eine Verfassungsinitiative aus, und am 17. Dezember 1970 wurde die Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts im Landtag einstimmig beschlossen. In Februar 1971 wurde dieser Verfassungsgesetzentwurf jedoch von den stimmberechtigten Männern per Referendum bei einer Stimmbeteiligung von 85,9 % mit 1897 (51 %) gegen 1816 Stimmen (48,9 %) knapp abgelehnt. Als Erklärung für dieses vom Landtagsbeschluss abweichende Ergebnis wurden parteipolitische Rivalitäten zwischen der FBP und der Vaterländischen Union (VU), die erstmals 1970 die Landtagswahl gewonnen hatte, angeführt] Ausserdem zeigte das Wahlresultat, dass die Mehrheit der Männer in Liechtenstein noch nicht bereit war, ihre Wahlmacht und Privilegien aufzugeben.

Kurz darauf gingen zum ersten Mal eine kleine Anzahl von liechtensteinischen Frauen auf der Strassen, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Wenige Tage später marschierten auch die gymnasialen Schülerinnen und Schüler durch die Hauptstrasse von Vaduz, wurden aber von Frauenstimmrechtsgegnern, die teilweise «nazistisches Gedankengut» von sich gaben, heftig angegriffen und beschimpft. Wieder kam die Problematik Ausländerfeindlichkeit zum Vorschein.

Fast gleichzeitig wurde in Februar 1971 in der Schweiz durch eine Volksabstimmung, an der nur männliche Stimmberechtigten teilnehmen durften, und mit über 65 % der Stimmen das Frauenstimmrecht in der Schweiz eingeführt. Somit war Liechtenstein der allerletzte Staat in Europa, der Frauen gleiche politische Rechte verweigerte.

Volksabstimmung 1973

Ab 1972 trafen sich Vertreter der neu formierten «Arbeitsgruppe für die Frau» mit Vertretern beider Fraktionen (FBP und VU) sowie der Parteijugend. Ein erneuter Anlauf zur Volksabstimmung wurde auf dieser politischen Ebene klar befürwortet. Allerdings gab es auch eine Gegenbewegung, die mit Flugblättern dagegenwirkte. Die Arbeitsgruppe und ihre Verbündeten hatten aber bewusst dafür entschieden, keine Öffentlichkeitskampagne mit Plakaten zu führen.

Am 19. Oktober 1972 wurde ein Antrag auf Einführung des Frauenstimmrechts gemeinsam von der FBP und VU im Landtag eingereicht. Dort wurden insbesondere die aussenpolitischen Dimensionen des Themas zur Sprache gebracht, denn Liechtenstein besass als Kleinstaat nur den Beobachterstatus (bis 1978) beim Europarat und war noch nicht Mitglied der Vereinten Nationen. Dass diese politischen und wirtschaftlichen Aspekte für die Regierung des Landes eine Rolle spielten, wurde vom Regierungsrat Walter Oehry in der Tageszeitung Liechtensteiner Vaterland am 8. Februar 1973, nur einem Tag vor der Abstimmung, klar ausgedrückt:

«Ich glaube, die meisten haben erkannt, dass das Frauenstimmrecht keine Laune der Frauen ist, sondern dass für unser Land sehr viel davon abhängt. Wenn wir nicht rechts und links schauen müssten, könnte es uns noch eher gleich sein, wie die Abstimmung ausgeht. Aber man glaubt unseren Versuchen nicht mehr, uns als fortschrittlichen Staat mit lebendiger Demokratie auszugeben. Für das Ansehen unseres Landes in der Welt wäre das ein schwerer Rückschlag.»

– Walter Oehry: Tageszeitung Liechtensteiner Vaterland am 8. Februar 1973

Der Rückschlag stellte sich deutlich nach der Abstimmung am 9./11. Februar 1973 mit 55,9 % der Stimmen (bei einer Wahlbeteiligung von 86 %) für die Ablehnung eines entsprechenden Verfassungsgesetzes ein. Mit 451 Nein-Stimmen im Vergleich zu den 81 Nein-Stimmen im Jahr 1971 war die Niederlage besonders stark und zeigte, dass eine Vielzahl der Liechtensteiner noch nicht bereit war, ihre überkommenen patriarchalen Einstellungen aufzugeben. Wie in der Schweiz wurde daraufhin die Strategie gewechselt und politische Gleichberechtigung im kleineren Rahmen angestrebt.

Wahl- und Stimmrecht auf Gemeindeebene

Mit der Verfassungsänderung vom 7. Juli 1976 erhielten die elf Gemeinden des Landes das Recht, über das Frauenstimmrecht abzustimmen und es auf Gemeindeebene einzuführen. Es dauerte insgesamt zehn Jahre, bis am 20. April 1986 die letzten drei Gemeinden dem Beispiel von Vaduz folgten. Die Gemeinde Schaan brauchte sogar mit Abstimmungen in den Jahren 1981 und 1984 zwei Anläufe dazu.

 

Quellen: Wikipedia und Liechtensteinisches LandesMuseum

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