
Weniger Geld – aber Gleichstellung
Zwei aktuelle Bundesgerichtsurteile gelten für viele als ein weiterer Schritt in Richtung Gleichstellung. Was emanzipatorisch daherkommt, wird aber gerade Frauen deutlich mehr schaden als nützen, wie die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt.
Wer in den Tagen nach dem feministischen Kampftag die Zeitungen aufschlug, konnte schnell das Gefühl bekommen, dass das Bundesgericht eigenhändig mit dem traditionellen Familienbild aufgeräumt hat. Die neusten Urteile seien ein Quantensprung für die schweizerische Familienpolitik, meint der Tagesanzeiger; die Ehe sei jetzt kein sicherer Hafen mehr für Frauen, schreibt die NZZ; jetzt werde die Familie modernisiert, hofft die WOZ.
In zwei wegweisenden Urteilen haben die Lausanner Richter – die einzige Bundesrichterin in der Zweiten zivilrechtlichen Abteilung war abwesend – den Anspruch von Unterhaltszahlungen nach einer Scheidung eingeschränkt. Bisher hatten Personen, die sich nach einer sogenannten lebensprägenden Ehe scheiden liessen, Anspruch darauf, den bisherigen Lebensstandard bis zur Pensionierung weiterzuführen. Von einer lebensprägenden Ehe spricht man dann, wenn sie mindestens zehn Jahre dauerte oder das Paar zusammen ein Kind hatte.
In der heteronormativen Praxis bedeutete das meist, dass der Ehegatte für seine ehemalige Partnerin Unterhaltszahlungen leisten musste, sofern diese während der Ehe keiner oder weniger Lohnarbeit nachging. Dasselbe galt bisher für Personen, die bei der Scheidung älter als 45 Jahre alt waren und vor allem unbezahlte Care-Arbeit geleistet haben – auch sie mussten keine neue Arbeitsstelle suchen und hatten Anspruch auf Unterhaltszahlungen bis zum AHV-Alter.
Neu gilt für beide Fälle kein pauschaler Anspruch mehr auf Unterstützung durch den ehemaligen Ehepartner, sondern nur noch in Einzelfällen und für eine zeitlich beschränkte Dauer. Wer sich scheiden lässt, soll danach ökonomisch auf eigenen Beinen stehen. Das setzt insbesondere das traditionelle Familienmodell unter Druck: Wer während einer Ehe die Care-Arbeit übernimmt, steht nun nach der Scheidung vielleicht mit leeren Händen da. Und weil diese in der Schweiz überwiegend von Frauen wahrgenommen wird, lesen viele die Bundesgerichtsurteile als Appell an die finanzielle Eigenverantwortung von Frauen in der Ehe.