Wer ist eine Frau?

Wer ist eine Frau?

Bei einer Redaktionssitzung des Internetforums “Beziehungsweise Weiterdenken” (Link auf www.bzw-weiterdenken.de) entspann sich kürzlich eine Diskussion zwischen Jutta Pivecka und Antje Schrupp über die Bedeutung des Körpers für das Frausein und zu der Frage, was es bedeutet, Körper zu modifizieren oder sich der Unverfügbarkeit des Körperlichen zu stellen. Ausgangspunkt war Antjes Kritik an dem Buch “Philosophie des Körpers” von Michela Marzano gewesen, der Jutta widersprach. Auf Anregung der anderen Redaktionsmitglieder trafen die beiden sich später noch einmal zu einem Gespräch, das sie aufzeichneten und in ihrem Forum in vier Teilen dokumentieren. Im ersten Teil (Link setzen: http://www.bzw-weiterdenken.de/2016/05/wer-ist-eine-frau/) beginnen sie mit der Frage: Wer ist eine Frau? Wir übernehmen den Text mit freundlicher Genehmigung der Autorinnen. 

Jutta Pivecka und Antje Schrupp

Jutta: Interessant in Bezug auf die Frage “Wer ist eine Frau?” fand ich nicht zuletzt die Debatte um Germaine Greer. Sie wurde von feministischen Veranstaltungen ausgeladen, weil sie bezweifelt hat, dass jemand eine Frau sein kann, wenn und weil sie sich dafür entscheidet, eine Frau zu sein. Sie setzte dem zunächst entgegen, dass eine Frau biologisch definiert ist durch zwei X-Chromosomen. Sie hat aber inzwischen in verschiedenen Interviews klargestellt, dass sie es trotzdem für ein Recht hält, dass jemand, der/die sich “dazwischen” fühlt oder der/die sich im “falschen” Körper fühlt, sich anders – als ein drittes Geschlecht zum Beispiel – definieren kann oder auch operieren lassen kann, um dem Geschlecht zu entsprechen, als das sie sich identifiziert. Dennoch ist für sie niemand eine Frau, die nicht biologisch eine ist. Sie bestreitet also im Grunde schon die Fähigkeit oder das Recht auf Selbstdefinition des Geschlechts. Ich teile diesen Standpunkt zwar nicht, finde ihn auf jeden Fall aber bedenkenswert und halte es für falsch, Germain Greer deswegen aus feministischen Diskursen auszugrenzen. Denn auch ich glaube, dass es “Frau sein” nicht gibt ohne Bezug zur Biologie, zum Körper einer Frau. Dass es “nur” eine soziale Vereinbarung, eine Konvention ist, Frau zu sein, das halte ich für falsch.

Antje: Ich frage mich, warum es notwendig sein soll, das am Körper festzumachen. “Frau” sein, so wie wir den Begriff benutzen, ist doch mindestens zu 95 Prozent eine soziale Konvention. Also wenn Menschen das Wort “Frau” benutzen, beziehen sie sich praktisch nie auf irgend etwas, das mit dem biologischen XX-Körper zu tun hat. Außerdem gehen Transfrauen häufig “durch”, sie können also das Frausein so überzeugend darstellen, dass es keine Irritationen hervorruft. Es ist also offensichtlich faktisch möglich, als Frau in Erscheinung zu treten, auch wenn man nicht qua Geburt einen XX-Körper hat. Ich würde trotzdem nicht sagen, das Frau sein existiert losgelöst vom Körper und ist eine bloße soziale Vereinbarung. Denn alles, was wir sozial unter “Frau sein” verstehen, rührt natürlich ursprünglich sehr wohl daher, dass Gesellschaften sich über diese unterschiedlichen Körper – Frauenkörper, Männerkörper – verständigt haben. Und dass dann entsprechende Konventionen ausgearbeitet wurden, die der Tatsache Rechnung tragen, dass Frauenkörper und Männerkörper unterschiedlich sind, mit dem größten Unterschied, dass der eine Körper schwanger werden kann und der andere nicht. Das macht erforderlich, Regelungen zu treffen, zum Beispiel: Was passiert mit dem Baby nach der Geburt? Ist die Person, die es geboren hat, zuständig oder andere? Können andere gegen ihren Willen über das Kind entscheiden? Welche Möglichkeiten der Elternschaft gibt es für Menschen, die nicht schwanger werden können – letzteres führte zur heterosexuellen Ehe, die ja vor allem ein Institut ist, um die Beziehung von Männern zu Kindern zu institutionalisieren. Und so weiter. Aus diesen Regelungsnotwendigkeiten entstanden dann Geschlechternormen und Geschlechterkonventionen, die insofern eben zwar mit Körpern zusammenhängen, aber, wie ich finde, nicht unbedingt mit dem einzelnen Körper einer bestimmten Person. Ich verstehe die Notwendigkeit nicht, warum der Zusammenhang zwischen Geschlechterdifferenz und Körperlichkeit bei jeder einzelnen Person sozusagen wasserdicht vorhanden sein muss, denn einzelne Körper sind ja immer in vielerlei Hinsicht anders als der Durchschnitt oder die Mehrheit.

Jutta: Mich irritiert an dem, was du gesagt hast, gerade das Argument, auf das du deine These stützt, dass Frausein vor allem eine Konvention ist: Weil es viele Beispiele dafür gibt, dass jemand eine Frau überzeugend darstellen kann, ohne dass es zu Irritationen kommt. Für mich bleibt es ein Unterschied: Eine Frau zu sein oder eine Frau darzustellen. Das ist vielleicht der Kern meines Problems mit all den Queer-Theorien, mit dem Unbehagen, das mich bei ihrer Lektüre seit nunmehr 20 Jahren plagt: Ich mache weiterhin einen Unterschied zwischen Sein und Darstellen. Was jemand darstellt, ist nicht identisch mit ihrem “Sein”, nicht nur bezogen auf Geschlecht, sondern auch auf viele andere Aspekte. Mir kommt es oft so vor, als hätten wir uns in bestimmten Diskursen seit den 80er Jahren darauf verständigt, dass es nichts gibt außer Performanz. Das halte ich für falsch, obwohl ich natürlich zugebe, dass wir das “Sein” nur in der jeweiligen Form seiner Darstellung wahrnehmen können, in seiner “Verkleidung” sozusagen. Dennoch halte ich daran fest, dass unterhalb der Darstellung etwas ist, das, was jemand ist, unverfügbar auch für sie/ihn selbst und sich damit auch dem Zugriff beliebiger Performanz entziehend. In gewissem Sinne halte ich diese Theorie sogar für gefährlich, weil sie, indem sie alles als Performanz und damit als Zeichensystem begreift, einem quasi totalitären Zugriff auf die Körper und das Bewusstsein Wegbereiter sein könnte. Es geht dann nur noch um mehr oder minder überzeugende Darstellungsweisen. Selbst Krankheiten werden zu Zeichen, die gelesen werden müssen und performt werden können. Ich weiß, dass Konventionen sich in Körper einschreiben und keineswegs für individuell verfügbar gehalten werden, dennoch entsteht die Idee, dass kulturelle Performanzen losgelöst von dem, was sie repräsentieren, quasi grenzenlos wandelbar und anpassbar sind. Für mich ist dagegen es wichtig – auch politisch – an der Idee festzuhalten, dass es eine “Seins-Ebene” gibt, die sich dem entzieht, die nicht in sozialer Konvention aufgeht und die Möglichkeiten der Darstellung von vornherein sowohl erzeugt, als auch einschränkt. Mit Konventionen kann ich mich kritisch auseinandersetzen, um sie zu verändern. Mit dem, was durch sie dargestellt wird, aber nicht. Ein Beispiel: Wenn ich ein Bein verliere, dann stellt sich für mich nicht zuerst die Frage, wie ich meine Einbeinigkeit performe, auf der Basis einer wie immer ausgefeilten Theorie, die eventuell Einbeinigkeit zum Schönheitsideal erhebt, sondern vor jeder kritischen Auseinandersetzung mit der Einbeinigkeit brauche ich einen Krückstock oder eine Prothese, weil ich nämlich einbeinig bin und es nicht bloß darstelle, was ja in einer Welt, in der Einbeinigkeit “schick” wäre, durchaus eine Option sein könnte. Es bliebe aber ein Unterschied, ob ich wirklich nur ein Bein habe oder ob ich mich so (ver-)kleide, dass es aussieht, als sei eins meiner Beine kein Bein. Der Vergleich – auf einem Bein – hinkt natürlich – das ist mir klar. Ich weiß, dass wir alle immerzu darstellen, was wir sind. Und eben gelegentlich auch, was wir nicht sind. Ich halte es dennoch für wichtig, an der Differenz zwischen beiden festzuhalten. Es ist was anderes, ob man eine Sterbende spielt oder stirbt, ganz schlicht. Auch wenn man “wirklich” stirbt, stellt man das Sterben natürlich zugleich dar im Rahmen von Konventionen. Und dennoch geht es bei diesem Unterschied ums Ganze.

Antje: Ich sehe es auch so, dass wir etwas sind, und dass das nicht deckungsgleich ist mit dem, was wir darstellen. Der Punkt ist aber doch: Was wir sind, ist nicht getrennt von der Darstellung zu haben. In gewisser Weise ist uns nicht zugänglich, was wir sind. Zum Beispiel: Was bedeutet es denn, dass ich eine Frau bin, unabhängig davon, wie ich sie darstelle? Ich könnte das nicht sagen. Es ist also einerseits wahr, dass ich eine Frau bin, und das Frausein nicht nur darstelle, andererseits ist das aber praktisch für mich bedeutungslos: Zugänglich ist mir mein Frausein nämlich nur über die Art und Weise, wie ich es darstelle, und zwar meine ich das im Sinne von “ausleben, ausfüllen”. Etwas darzustellen heißt ja nicht, etwas vorspielen oder so zu tun als ob, sondern ich meine es im Sinn von “verkörpern”. Wir verkörpern das, was wir sind, auf vielfältige Weise. Welche Differenzen wir in diesem Zusammenhang dann betonen, ist in gewisser Weise verhandelbar. Es gibt ja auch große und kleine Menschen, das ist ebenfalls ein realer Unterschied, aber trotzdem haben wir nicht das Bedürfnis, zwei unterschiedliche Kategorien und Begriffe für Menschen über 1,60 und Menschen unter 1,60 zu haben. Obwohl natürlich kleine Menschen auch ganz real andere Probleme haben als große Menschen, denn sie sind kleiner und stellen das nicht nur dar.

Jutta: Da finde ich den Unterschied zwischen Mann und Frau doch wesentlicher. Für die gesamte Menschheitsgeschichte finde ich den erheblicher, wesentlich erheblicher.

Antje: Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum menschliche Gesellschaften gerade dazu so viele Konventionen entwickelt haben und zu anderen Unterschieden nicht. Aber dennoch hängt diese Bedeutung auch von den jeweiligen kulturellen Umständen ab. Der Unterschied zwischen Schwangerwerdenkönnen und nicht spielt in einer Kultur, in der die Menschen eine Lebenserwartung von 35 Jahren haben und in dieser Zeit zehn Kinder bekommen, logischerweise eine sehr große Rolle, weil permanent die einen schwanger sind und die anderen nicht. In einer Kultur wie unserer hingegen, wo Menschen 80 Jahre alt werden und diejenigen, die schwanger werden können, im Lauf ihres Lebens vielleicht ein oder zwei Kinder gebären, viele sogar gar keine, ist dieser Unterschied zwar nicht ganz vernachlässigbar, er spielt aber logischerweise keine so große Rolle. Das heißt, die Diskussion hängt immer davon ab, in welcher Realität man lebt. Wenn dir ein Bein fehlt, und du lebst in einer Kultur, wo es keinerlei Rollstühle gibt, keinerlei Barrierefreiheit und keinerlei motorisierte Mobilität, dann ist die Frage, ob du ohne Hilfsmittel laufen kannst, doch von einer ganz anderen Relevanz als in einer Kultur, die selbstverständlich damit rechnet, dass Menschen eventuell nur ein Bein haben, und in der dann entsprechende Vorkehrungen getroffen sind.

Jutta: Ich denke, da sind wir uns einig, das ist nicht das Problem. Es geht eher darum: Was ist das Ziel von so einem Diskurs, in dem man diese Begriffe ausdehnt oder auch einschränkt, je nachdem wofür man sich entscheidet? Das Ziel müsste nun sein: Wir schaffen eine Gesellschaft, in der eine, die nur ein Bein hat, möglichst gut leben kann. Da sind wir uns ja wahrscheinlich einig. Ich würde aber darauf beharren, dass es zur Erreichung dieses Ziels wichtig ist anzuerkennen, dass sie nur das eine Bein hat und dies nicht bloß darstellt. Nur dann kann nämlich die, die etwas anderes braucht, das auch bekommen. Sonst fangen wir an, für Einbeinige zu sorgen, die es gar nicht gibt.

Dass „Frau sein“ und „Frau verkörpern“ nicht identisch sind, darauf konnten wir uns im ersten Teil des Gesprächs offenbar einigen, nicht jedoch darauf, ob und welche Bedeutung diese Differenz hat. Im zweiten Teil des Gesprächs, das demnächst hier zu lesen ist, wird daher das Thema „Frau und Körper“ vertieft.

Hauptbild: Caitlyn (ehemals Bruce) Jenner auf dem Cover von Vanity Fair. Foto: Mike Mozart/Flickr.com cc by)

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