Feminismus und Gleichstellung – ein klärender Ueberblick

Feminismus und Gleichstellung – ein klärender Ueberblick

Im September war Antje Schrupp in Dresden, wo 1990 die erste Gleichstellungsstelle in den neuen Bundesländern eingerichtet wurde. Zum 25-Jährigen Jubiläum hielt sie den Festvortrag und sprach über das ambivalente Verhältnis zwischen Feminismus und Frauenbewegung auf der einen Seite und staatlicher Gleichstellungspolitik auf der anderen.

Erika Bigler

Der Vortrag ist für mich bemerkenswert, weil er etwas Klarheit zur Gleichstellungs- und Feminismusthematik gibt. Auch wir feiern demnächst, am 1. Juli 2016,  20 Jahre Gleichstellungsgesetz – ein guter Zeitpunkt für eine öffentliche Debatte!

Ich picke einige Kerngedanken heraus, die für mein Verständnis von Bedeutung sind. Der lesenswerte, dichte Vortrag zum Reflektieren, Erkennen, Denken, Diskutieren und Tun finden Sie unter dem Link in der Box. Ich freue mich auf Ihre Kommentare.

Feminismus und Frauenbewegungen in der ersten und zweiten Welle

Hier geht es grundsätzlich um die Sicht von Frauen auf die Welt. Bei der ersten Welle ging es um die politische Mitbestimmung, d.h. das Wahl- und Stimmrecht. Trotz allgemeinem Wahlrecht blieben geschlechtsbezogene Rollenmuster bestehen. Deshalb folgte dieser “ersten Welle” der Frauenbewegung, die das Wahlrecht erkämpft hatte, in den 1970er Jahren die so genannte “zweite Welle”. In vielen Teilen der Welt brachten Frauen nun Themen auf die politische Tagesordnung, die das Zusammenleben im Alltag, die Kultur betrafen und die deshalb nicht einfach im Rahmen von “Gleichberechtigung”, also der Möglichkeit politischer Mitbestimmung, gelöst werden können, weil ihre Wurzeln viel tiefer reichen (Abwertung und Nachrangigkeit des weiblichen Geschechts in der europäischen Kultur sind tief in die Denkmuster eingebrannt).

Gleichstellung und Gender

Die Gleichstellungspolitik war zwar eine direkte Folge der Frauenbewegung, es wäre allerdings ein Missverständnis, zu glauben, dass sie ihr zentrales Anliegen gewesen wäre. Dieses Missverständnis ist weit verbreitet, es gibt sogar so genannte “Maskulinisten”, also antifeministische Männerrechtler, die die institutionelle Gleichstellungspolitik für eine Art feministische Weltverschwörung halten.

Gleichstellungspolitik, Gender Mainstreaming, Quotenregelungen und so weiter sind nicht direkt feministische Maßnahmen, sondern vielmehr Maßnahmen, mit denen der Staat und gesellschaftliche Institutionen auf die Frauenbewegung und den Feminismus reagiert haben. In gewisser Weise haben sie dabei tatsächlich feministische Forderungen aufgegriffen und umgesetzt, zum Beispiel die nach mehr Partizipation von Frauen und mehr Bewusstsein in Bezug auf Geschlechterverhältnisse. Aber auf andere Weise haben sie gleichzeitig auch den Feminismus eingehegt und radikaleren Ansätzen den Wind aus den Segeln genommen. Die Idee der Gleichstellung sieht in Frauen letztlich defizitäre Wesen! Wenn es heute darum geht, aus feministischer Perspektive eine Bilanz zu ziehen über die bisherige Gleichstellungsarbeit, dann ist es wichtig, diese Ambivalenz im Auge zu behalten. In Wirklichkeit sehen viele Feministinnen damals wie heute die staatliche Gleichstellungspolitik mindestens ambivalent oder sogar geradeheraus kritisch. Die italienische Feministin Luisa Muraro fasste das einmal so zusammen, indem sie sagte: “Wir Feministinnen wollten die Welt verändern, aber dann kamen die Linken, die Parteien und die EU und haben uns die Gleichstellung angeboten.” Das Angebot lautete, etwas verkürzt gesagt: Liebe Frauen, gebt eure radikale Gesellschaftskritik auf, dafür lassen wir euch in unserem System mitspielen.

Neue feministische Welle

Dass das Konzept “Gender” das Konzept “Feminismus” ersetzt und nicht ergänzt hat, ist schlecht. Und zwar, weil darin ein grundlegender Denkfehler über das Wesen des Feminismus zum Ausdruck kommt: Man glaubt oft, dass es im Feminismus um das Verhältnis von Frauen und Männern ginge. Es geht im Feminismus aber um das Verhältnis der Frauen zur Welt. Feminismus bedeutet, auch einen Dialog zu inszenieren zwischen Frauen und Männern, und dieser Dialog macht es erforderlich, dass die Männer sich von selber für das, was Feministinnen sagen, interessieren. Sie können nicht erwarten, dass wir, die Frauen, ihnen alle Fragen beantworten, die sich aus unseren Ideen möglicherweise für sie selbst und ihre eigene Rolle in der Welt ergeben.

Die Gleichstellungsarbeit war eine Reaktion auf die Erkenntnis, dass das Wahlrecht für Frauen nicht genügte, um 4000 Jahre patriarchale Geschichte aufzulösen. Und inzwischen wissen wir, dass auch eine formalisierte, institutionelle Gleichstellungsarbeit nicht ausreicht, sondern dass wir darüber hinaus auch einen Wandel im Alltag brauchen, im Denken der Einzelnen, in den vermeintlichen Nebensächlichkeiten, in den konkreten Beziehungen. Wir brauchen ein echtes Interesse an dem, was Frauen tun und sagen, nicht nur eine gleichgültige Akzeptanz ihrer Anwesenheit. Ein Ereignis, bei dem dieser Paradigmenwechsel deutlich wurde, war die Debatte unter dem Stichwort “Aufschrei”, die vor eineinhalb Jahren bei Twitter begann. Dort haben Frauen ihre Erfahrungen mit sexuellen Belästigungen im Alltag öffentlich gemacht und damit eine Debatte angestoßen. Es ging dabei nicht mehr um so Offensichtliches wie Prügel oder Vergewaltigungen, sondern es ging um die vielen kleinen Belästigungen im Alltag, von dummen Witzen bis zu anzüglichen Bemerkungen. Also um Dinge, die sich weit unterhalb jeder strafrechtlich relevanten Schwelle bewegen, und denen sich daher auch nicht mit Verordnungen oder offiziellen Beschwerden oder Klagen beikommen lässt.

Differenzvermittlung

So wie es richtig war, sich von der falschen Formel der “Frauenförderung” zu verabschieden, so ist es an der Zeit, sich auch von der Formel der “Gleichstellung” zu verabschieden. Denn das verleitet uns doch immer wieder dazu, nach einer allgemeinen Norm oder Instanz zu suchen, unter der die vielen unterschiedlichen Menschen “gleich” sind. Ein besserer Oberbegriff für das, was  staatliche Aufgabe in diesem Zusammenhang ist, wäre der Begriff der “Differenzvermittlung”. Denn wir brauchen verantwortliche, durchdachte und erprobte Verfahrensweisen, damit sich die vielen unterschiedlichen Menschen mit ihren jeweiligen Perspektiven, Wünschen, Talenten und Interessen aktiv am öffentlichen Leben beteiligen. Nicht nur Frauen und Männer, in ihrer Unterschiedlichkeit, sondern die ganze Bandbreite menschlicher Pluralität. Differenzvermittlung bedeutet, Räume zu schaffen, wo wir uns begegnen können, ohne dass von vornherein feststeht, wer hier “normal” und wer “anders” ist. Wo wir uns füreinander interessieren, und gerade auch dann, wenn die anderen mich überraschen, mich irritieren, wenn es Konflikte gibt.

Hauptbild: Dr. Antje Schrupp – Journalistin und Politologin

One thought on “Feminismus und Gleichstellung – ein klärender Ueberblick

  1. Super Ihr Bericht liebe Frau Bigler: Sie bringen damit auch mein “Unbehagen an der Kultur” auf den Punkt! Gerade die Care-Debatte zeigt m.E. gut, dass feministische Gesellschafskritik grundlegender ist: Was heisst “Gutes Leben”? Ist die Wirtschaft da, um Kapital zu generieren für einige Wenige oder sollte sie nicht eher das Gemeinswohl im Blick haben? Es gilt, die aristotelische Zweiteilung unserer Welt aufzubrechen, welche unterscheidet zwischen Mann/Frau, oben/unten, Kultur/ Natur, Nord/Süd, Inländer_in/Ausländer_in etc etc. Und ja: Der Feminismus wollte nicht nur einen Teil des KUchens, sondern einen anderen Kuchen. In diesem Sinne: Wir bleiben dran!

    Last but not least gratuliere ich Ihnen und Ihrem Rdaktionsteam zur neune Homepaage; -so ist es eine Freude, zu lesen und zu kommentieren. Und wer weiss, vielleicht auch wieder einmal etwas zu schreiben für die Ostschweizerinnen!


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