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«Mehr Frauen in der Polizeiführung wird niemand bereuen»

«Mehr Frauen in der Polizeiführung wird niemand bereuen»

Die Stadtpolizeien von St.Gallen, Chur und Winterthur wollen mehr Frauen im Polizeikorps. Gemeinsam mit dem Institut für Organisation und Leadership der OST – Ostschweizer Fachhochschule wollen sie ergründen, wie eine zukunftsorientierte Führungskultur bei der Polizei aussehen könnte.

Finanziert wird das Projekt vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Mann und Frau. Michael Breu hat die Kommandanten der Stadtpolizei Chur (Andrea Deflorin), St.Gallen (Ralph Hurni) und Winterthur (Anjan Sartory) zum Gespräch getroffen.

26 Prozent der Mitarbeitenden in Schweizer Polizeikorps sind Frauen, nur 2 Prozent der Polizistinnen schaffen es in eine Kaderposition. Das zeigen die Daten der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS). Der Beruf Polizistin scheint nicht sehr attraktiv zu sein?

Andrea Deflorin: Das kann ich so nicht unterschreiben. Die Polizeiarbeit ist für Frauen sicher nicht unattraktiv. Was wir feststellen ist, dass sich bereits für die Polizeischule weniger Frauen als Männer für die Polizeischule interessieren. Dies bringt mit sich, dass der Frauenanteil im Polizeikorps tiefer ist. Auch bei internen Stellenausschreibungen bekommen wir bei der Stadtpolizei Chur weniger Bewerbungen von Frauen als von Männern. Bei der Stellenbesetzung spielt immer die Eignung die grösste Rolle. Egal, ob Mann oder Frau.

Ralph Hurni: Bei den Kaderpositionen brauchen wir Polizistinnen und Polizisten mit Erfahrung. Wir wissen aber, dass eine Frau im Durchschnitt nach sieben Jahren Familienpause macht und danach eher Teilzeit arbeiten möchte. Männer arbeiten bisher meist in einem Vollpensum. Das heisst: Wir müssen für Frauen Teilzeitstellen anbieten, damit wir sie im Korps halten können. Bei der Stadtpolizei St.Gallen bieten wir auch spezielle Angebote an für Wiedereinsteigerinnen, damit wir die Polizistinnen zurückholen können.

Anjan Sartory: Das sehe ich gleich wie meine Kollegen. Wir müssen uns aber auch Gedanken machen, wie wir für den Beruf Polizistin, Polizist bewerben. Da müssen wir die Frauen gezielter ansprechen.

Polizist, das war viele Jahre ein reiner Männerberuf. Bei der Kantonspolizei St.Gallen wurden die ersten Frauen erst 1971 in das Korps aufgenommen, bei der Stadtpolizei St.Gallen mussten die Frauen bis 1984 warten. Kann es sein, dass dieses Bild «Polizist = Mann» bis heute nachwirkt?

Hurni: Vielleicht, schwierig zu sagen. Heute ist das aber sicher nicht mehr der Fall: Die Polizei ist sowohl für Frauen als auch für Männer ein guter Arbeitgeber. Und wir wollen und brauchen auch Polizistinnen.

Deflorin: Der Zeitgeist mag eine Rolle spielen, die Bilder, die man im Kopf hat. Der Beruf Polizist ist heute sicher vielfältiger als damals. Die Kommunikation zum Beispiel spielt eine wichtigere Rolle.

Anjan Sartory, Sie haben eine Masterarbeit an der Ostschweizer Fachhochschule geschrieben – Titel «Förderung von Frauen in Führungspositionen bei der Polizei». Inwieweit schrecken die hierarchische Gliederung und die Befehlsstruktur Frauen davor ab, den Beruf Polizistin zu wählen?

Sartory: Im Einsatz, wenn es hart auf hart kommt, braucht es eine klare Führung. Aber nur dort. Sonst haben wir bei der Polizei einen kooperativen Führungsstil und eine moderne Kommunikationskultur, der auch Frauen anspricht.

Sie sind sich einig: Es braucht mehr Polizistinnen im Korps. Das will auch die Politik. Auf nationaler Ebene hat die Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten ein «Sensibilisierungsprogramm» ausgeschrieben, die Stadtpolizei St.Gallen hat die «Vereinbarkeit von Familie und Beruf» in der Strategie 2020 verankert – um nur zwei Beispiele zu nennen. Wie setzt man das um?

Hurni: Frauenförderung beginnt natürlich schon bei der Rekrutierung, in den Polizeischulen. Danach braucht es beispielsweise ein gutes Angebot von Teilzeitstellen, von Teilzeitmodellen, die für Frauen, aber auch für Männer attraktiv sind.

Und wie machen Sie es bei der Stadtpolizei Winterthur?

Sartory: Die Sitzungs- und Rapportzeiten starten bei uns in der Regel nicht vor 8:30 Uhr. So haben Polizistinnen und Polizisten Zeit, ihre Kinder in die Kita zu bringen. Wichtig ist aber auch, dass wir Teilzeitmodelle in der Geschäftsleitung vorleben. Wir haben zum Beispiel eine Frau im Offiziersrang, die in einem 80-Prozent-Pensum arbeitet.

Deflorin: Bei der Stadtpolizei Chur versuchen wir im Dialog herauszufinden, welches Arbeitsmodell zu unseren Polizistinnen und Polizisten passt. Da sind wir heute sehr dynamisch und modern unterwegs. Bei verwaltungspolizeilichen Aufgaben und im Innendienst können wir das gut umsetzen. Beim Frontdienst, im Einsatz, ist das aber nicht immer so einfach.

Die Zahl der Aspirantinnen hat in den vergangenen Jahren leicht zugenommen – 2011 wollten im Kanton St.Gallen 3 Frauen Polizistin werden, 2020 waren es 12. Die St.Galler Regierung betont in der Beantwortung eines Vorstosses aus dem Kantonsparlament aber, dass ein klarer Trend nicht erkennbar sei. Bei den Frauen in Führungsposition geht es gar nicht vorwärts – 2017 gab es 1,5 Prozent Frauen in Kaderpositionen, 2011 waren es 1,9 Prozent. Wie bringt man Polizistinnen in Führungspositionen?

Hurni: Wir brauchen sicher eine gezielte, individuelle Förderung. Und genau hier liegt die Schwierigkeit. Männer dürfen dabei nicht diskriminiert werden, wir wollen ja für alle eine Gleichbehandlung. Wie wir das umsetzen? Das klären wir jetzt mit dem Projekt «Equal Leadership» mit der Ostschweizer Fachhochschule. Wir wollen herausfinden, wie wir die Besten auf eine Führungsposition vorbereiten, wie wir die Organisation weiterentwickeln müssen, um ein guter Arbeitgeber zu bleiben.

Braucht es überhaupt ein ausgewogenes Frauen-Männer-Verhältnis in der Führung der Polizei?

Sartory: Nicht als Quote. Aber wenn man keine Frauen bei der Polizei hat, dann schliesst man die Hälfte der Bevölkerung stellvertretend quasi aus. Es ist wichtig, dass man bei der Polizei auf allen Stufen ein möglichst ausgeglichenes Verhältnis von Männern und Frauen hat. Nur so repräsentieren wir auch die Gesellschaft.

Hurni: Und Frauen in der Führung haben auch eine Vorbildfunktion. Angehende Polizistinnen sehen, dass man als Frau auch eine Führungsposition erreichen kann, das ist motivierend.

Der Kanton Zürich hat schon vor zwanzig Jahren unter der damaligen SVP-Regierungsrätin Rita Fuhrer ein Förderprogramm für Frauen bei der Polizei lanciert, und die Stadtpolizei Zürich hat sogar ein Gleichstellungsbüro eingeführt. Wie sieht die Situation bei der Stadtpolizei Winterthur aus?

Sartory: Es ist genau diese Vorbildfunktion, die Ralph Hurni angesprochen hat. Wir haben das Glück, dass wir bei der Stadtpolizei Winterthur eine Frau in der Geschäftsleitung haben. Und wir haben intern eine Vereinigung von Polizistinnen, die sich regelmässig trifft und sich austauscht.

Muss sich denn die Führungskultur im Polizeikorps ändern, damit Frauen Karriere machen wollen?

Sartory: Wir haben eine hohe Qualität, wir haben eine moderne Kommunikation, wir haben einen guten Aus- und Weiterbildungsstandard. Ich würde sagen, dass die Führungskultur bei der Polizei schon heute absolut frauentauglich ist. Jetzt müssen wir nur noch die Frauen richtig fördern…

Ralph Hurni, Andrea Deflorin, Anjan Sartory: Drei Kommandanten von Stadtpolizeien suchen bei der Ostschweizer Fachhochschule Rat. Was versprechen Sie sich von dieser Zusammenarbeit?

Hurni: Wir wollen einen fachlichen Input für den Weg, den Frauenanteil zu erhöhen. Wir wollen keine Fehler machen, niemanden im Korps vergraulen, niemanden ausschliessen. Wir haben uns zum Beispiel gefragt, wie sinnvoll ist es, ein Frauennetzwerk zu schaffen? Oder Frauen separat zu informieren, um sie in ihrer Arbeit zu fördern. Da stützen wir uns auf die breite Erfahrung der Fachhochschule, die ja schon Unternehmen aus anderen Bereichen unterstützt hat …

Deflorin: … ein «Best Practise-Modell», das funktioniert und wo wir Tipps und Tricks für unsere Arbeit ableiten können.

Sartory: Mit meiner Masterarbeit über die Förderung von Frauen bei der Polizei habe ich mir einen allgemeinen Überblick verschafft. Jetzt will ich in die Tiefe gehen. Und da ist es gut, wenn man das mit einem Partner tut, der sich intensiv mit diesem Thema befasst. Die Ostschweizer Fachhochschule hat einerseits das wissenschaftliche Werkzeug dazu, andererseits ist sie am Puls, weil junge Leute dort studieren – angehende junge Führungskräfte.

Die Polizei der Zukunft: Wo stehen sie in ein paar Jahren?

Hurni: Ich fände es zentral bzw. entscheidend, dass beide Geschlechter angemessen in der Führung bei der Polizei vertreten wären.

Deflorin: Mehr Frauen in der Führungsrolle bei der Polizei, das wird niemand bereuen.

Sartory: Die Kompetenzen zählen. Aber es braucht auch einen gesunden Mix.

Ralph Hurni (St.Gallen), Anjan Sartory (Winterthur) und Andrea Deflorin (Chur) Bild: zVg

Quelle: stgallen24

OST erarbeitet Strategien für Frauenförderung

Das Thema der Förderung von Frauen in Blaulichtorganisationen ist seit einigen Jahren präsent und geniesst aktuell besondere Aufmerksamkeit mit Blick auf Polizeiorganisationen. Das Kompetenzzentrum für Leadership & Human Resources unter Leitung von Prof. Dr. Sibylle Olbert-Bock hat gemeinsam mit den drei Schweizer Stadtpolizeien Chur, Winterthur und St.Gallen Massnahmen und Instrumente erarbeitet, wie Frauenkarrieren gezielt gefördert werden können. Mit dabei sind die drei Polizeikommandanten Ralph Hurni (St.Gallen), Anjan Sartory (Winterthur) und Andrea Deflorin (Chur). Das Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann unterstützt das Projekt mit Finanzhilfen nach dem Gleichstellungsgesetz.

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